Perspektiven zum Transhumanismus

Teil 1

Technik ist Ausdruck des menschlichen Wesens. Von Anbeginn seines Auftretens auf der Erde erfindet der Mensch technische Hilfsmittel: zuerst Werkzeuge, dann Vorrichtungen und Apparate und zuletzt Maschinen sowie komplexe Maschinensysteme, die als Netze die ganze Welt umspannen. Welche Herausforderungen stellt uns dieses neue, wachsende technische Reich?

Beobachtet man die Vergangenheit, so wird ersichtlich, dass der Stand der technologischen Entwicklung der Bewusstseinsentwicklung der Menschheit entspricht. So betrachtet, sind die gegenwärtigen Technologien Gerät gewordener Ausdruck des geistigen Entwicklungsstandes der Menschen. Der Mensch setzt als Apparat aus sich heraus, was er in der ‹Vergangenheit› an inneren Kräften erworben hat, und in der Auseinandersetzung mit diesen Apparaten erwirbt er sich neue, ‹zukünftige› Kräfte. Die Herausforderungen der gegenwärtigen Technologien sind das Widerlager, an welchem die Menschheit die Bewusstseinsseele zu entwickeln hat.

Der Technikphilosoph Gotthard Günther (1900–1984) hat das pointiert formuliert: «Eine intensivere, sich in größere Tiefen erhellende Innerlichkeit stößt hier mit souveräner Gebärde ihre gleichgültig gewordenen, zu bloßen Mechanismen heruntergesunkenen Formen der Reflexion von sich ab, um sich selber in einer tieferen Spiritualität zu bestätigen. Und die Lehre dieses geschichtlichen Prozesses? Wie viel das Subjekt von seiner Reflexion auch an den Mechanismus abgibt, es wird dadurch nur reicher, weil ihm aus einer unerschöpflichen und bodenlosen Innerlichkeit immer neue Kräfte der Reflexion zufließen.» (1)

Genese der technischen Welt

Die Entwicklung der Technik in den letzten 250 Jahren lässt drei Schritte erkennen. Mit dem Übergang ins 19. Jahrhundert wurden die Kraftmaschinen erfunden: Dampfmaschine, Elektromotor, Ottomotor und Dieselmotor. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts fand der Mensch technische Wege, seine Sprache in die Ferne zu übertragen: Telefon und Radio. Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts gelang es den Erfindern, die im Denken des Menschen verankerte Logik zu materialisieren: Computer entstanden.

Als man lernte, Kraftmaschinen durch Computer zu steuern, gelang es, maschinell das menschliche Gehen zu imitieren. Indem man mithilfe von Computern Tonmaschinen beeinflussen konnte, war man in der Lage, Maschinen ‹sprechen› zu lassen. Indem man Computer dazu gebracht hat, ihre internen Abläufe selbst zu verändern, erhielten sie den Anschein, als könnten sie ‹denken›.

Wenn Computer in Bildmaschinen steuernd eingreifen, sind sogenannte virtuelle Welten möglich, in die der Mensch wie in eine andere ‹Umwelt› eintreten und in der er sich verlieren kann.

Die Maschinenwelt ist also in der Lage, den handelnden Menschen sowie dessen Umwelt zu imitieren. Der weltweite Wettlauf der Entwicklungsabteilungen der großen Softwaregiganten in den USA, Russland und China wird immer perfekter funktionierende künstliche Intelligenzen in unseren Alltag bringen.

Man arbeitet daran, den Menschen als intelligenten Avatar gewissermaßen unsterblich werden zu lassen, damit er auch nach seinem Tode für die Zurückgebliebenen ‹anwesend› sein kann. Es wird an Partnerrobotern gebaut, die dem Menschen ein ‹Lebensgefährte› sein können. ChatGPT und verwandte Systeme überfluten die Kultur mit Texten, in denen auch grob Fehlerhaftes vorhanden ist. Diese Texte werden auf Umwegen wieder dazu verwendet, um die texterzeugenden Systeme zu trainieren. Das kann in recht kurzer Zeit dazu führen, dass man sich weltweit überhaupt nicht mehr auf die Stimmigkeit von Texten verlassen kann.

Aufgabe der anthroposophischen Bewegung

Der Transhumanismus strebt in einer ungeheuren Geschwindigkeit mit technischen Mitteln etwas an, das von der Menschheit auf geistige Weise anzustreben ist.

  • Er will auf technische Weise verstehen, wie Menschen ihre Glieder bewegen, und er konstruiert mit diesem Wissen Roboter, sozusagen selbständig gewordene Hände und Beine, die den Menschen umgeben sollen.
  • Er baut Informationstechnologien, die Menschen im Gespräch miteinander verbinden, und überall, wo zwei oder drei Menschen zusammenfinden, steht gegenwärtig ein technisches Netzwerk dazwischen.
  • Er entwickelt Intelligenzen, in denen sich die vergangene Denktätigkeit der Menschheit verselbständigt. Das von Hunderttausenden von Ingenieuren in Abermillionen Stunden in die Systeme geronnene menschliche Denken ist mittlerweile so gewaltig, dass die Systeme beginnen, übermenschlich zu erscheinen. Dabei haben sich die Techniker in ihren Forschungen nur an dem orientiert, was sich in jedem menschlichen Haupt tagtäglich vollzieht.

Was Gotthard Günther beschrieb, hat die anthroposophische Bewegung zu realisieren: Sie hat sich «in einer tieferen Spiritualität zu bestätigen». Am Ende seines Lebens fasste Rudolf Steiner dies in einem Brief an die Mitglieder prägnant zusammen: «Der Mensch muss die Stärke, die innere Erkenntniskraft finden, um von Ahriman in der technischen Kultur nicht überwältigt zu werden. Die Unternatur muss als solche begriffen werden. Sie kann es nur, wenn der Mensch in der geistigen Erkenntnis mindestens gerade so weit hinaufsteigt zur außerirdischen Übernatur, wie er in der Technik in die Unternatur heruntergestiegen ist. Das Zeitalter braucht eine über die Natur gehende Erkenntnis, weil es innerlich mit einem gefährlich wirkenden Lebensinhalt fertig werden muss, der unter die Natur heruntergesunken ist.» (2)

Das Bestreben, durch intensive Arbeit selbständig in die Übernatur erkennend hinaufzusteigen, ist die zentrale Aufgabe der anthroposophischen Bewegung. Denn nur wenn genügend viele Menschen diesen Ausgleich in eigenem, aber auch in gemeinschaftlichem Forschen schaffen, können in der weiteren Zukunft die der Menschheit höchst gefährlich werdenden technologischen Entwicklungen in andere Bahnen gelenkt werden.

Jeder Mensch hat einen Körper. Dieses Bewusstsein ist nicht primär. Wir wachsen mit der Zeit in es hinein. Die Fokussierung auf den Körper als Objekt entfremdet uns von unserer Gegenwärtigkeit. Das Leibsein hingegen ist die Quelle zu unserem spontanen Ausdruck und individuellen Werden.

Die deutsche Sprache lässt eine Unterscheidung zu, die es so in vielen anderen Sprachen nicht gibt: die Unterscheidung zwischen ‹Leib› und ‹Körper›. ‹Leib› ist der ältere Begriff, im Englischen ‹lived body›. Er steht dem Wort ‹Leben› nahe, als das Lebendige, Gelebte, Gespürte, aber auch die lebendige Erscheinung, die leibhaftige Gegenwart eines Menschen. ‹Körper› hingegen leitet sich vom lateinischen ‹corpus› ab, also Körper oder Leichnam. Es bezeichnet primär den materiellen, den dinglichen Gegenstand. Wir können unseren Leib wie ein Ding unter Dingen betrachten, eben als Körper; wir können uns von außen sehen. Unser Leib ist mit den physischen Dingen verbunden; er ist widerständig, stofflich, sichtbar.

Leib und Körper sind zweierlei

In der philosophischen Anthropologie hat besonders Helmuth Plessner die Gegenüberstellung von Leibsein und Körperhaben zum Ausdruck gebracht: Ich bin mein Leib, aber ich habe diesen Leib auch als meinen Körper. Damit wandte sich die philosophische Anthropologie im frühen 20. Jahrhundert gegen den Descartes’schen Dualismus der Moderne, nach dem sich das Ich als unkörperlicher Geist in einem äußerlichen Körpervehikel denken ließe. Dem gegenüber steht der Gedanke der Verkörperung. Hiernach sind wir unabdingbar leibliche Wesen, die in unserem ganzen lebendigen Leib zu Hause sind, auch wenn wir uns diesen Leib als Körper bewusst machen können. Diese Unterscheidung von Leib und Körper ist aber nicht angeboren. Der Säugling ist gewissermaßen noch reiner Leib und der Blick von außen auf seinen Körper wird ihm erst im Laufe des zweiten Lebensjahres zugänglich. Sich als Körper zu erkennen, ist innig mit der Entwicklung des Selbstbewusstseins und der Reflexionsfähigkeit verknüpft.

Unser alltägliches Erleben als Erwachsene ist dann von einer Polarität geprägt, in der wir uns ständig zwischen Leibsein und Körperhaben hin und her bewegen. An einem Pol finden wir unseren gelebten Leib als Träger unseres Lebens, der unsere Wahrnehmungen und Bewegungen als Medium vermittelt, dabei aber selbst im Hintergrund bleibt. Ich muss beispielsweise nicht darauf achten, wie mein Leib die Worte formt, die ich gerade sprechen will. Der Leib entlastet dadurch unser Bewusstsein. Er ist stillschweigend in all meinen Lebensäußerungen wirksam, als die Grundlage des selbstverständlichen Lebensvollzugs.

Tritt nun der Leib aus dieser Latenz hervor, so wird er zum erlebten und gespürten Leib, zum Beispiel als Raum der Anspannung oder Entspannung, des Hungers und Durstes, der Lust und Unlust usw. und auch als Resonanzraum der Gefühle, die uns ergreifen. Je mehr ich nun aus der Unmittelbarkeit des Leibes heraustrete und ihn als Werkzeug benutze, etwa zum Ausführen einer bestimmten Bewegung, desto mehr verliert er seinen vermittelnden Charakter. Er wird zum Instrument meiner Intention, das sich aber auch meiner Verfügung entziehen und mir dann im Weg stehen kann. Zum Körper wird der Leib daher vor allem, wenn der gewohnte Lebensvollzug gestört ist, etwa bei einer Ungeschicklichkeit, einem Sturz, in einer Erschöpfung oder Schwere, bei Verletzung oder Krankheit. Mit diesem Bewusstwerden oder Hervortreten wird der gelebte Leib zu meinem Körper, an den ich gebunden bin, der meine Existenz ermöglicht, mit dem sie aber auch untergehen kann. In der Angst, in Atemnot oder in schwerer Krankheit erfahre ich mich als verletzliches, sterbliches Geschöpf – als ein Wesen in einem Körper.

Doch es gibt noch eine andere Form, wie der gelebte Leib zum gegenständlichen Körper wird, nämlich unter dem Blick der anderen. Durch ihn erhält der Leib eine Außenseite. Er wird zum «Körper-für -andere»,wie Jean-Paul Sartre es ausdrückte, sei es im Erblicktwerden, sei es durch das bewusste Auftreten und sich Darstellen vor anderen. Mit dem Bewusstwerden der eigenen Erscheinung vor anderen sind zentrale personale Gefühle verbunden wie Scham, Befangenheit oder Stolz.

Der Körper erscheint also immer da, wo die unbemerkte Vermittlung unterbrochen wird und die Aufmerksamkeit sich auf den Leib zurückwendet. So oszilliert die Leiblichkeit des Menschen in der Polarität zwischen unbewusst-unbemerktem Leib und widerständig-auffälligem, sichtbarem Körper. Der Leib ist letztlich gar kein Gegenstand, sondern die Bewegung des Lebens selbst. Der Körper hingegen ist der bewusst gewordene, der festgestellte, für einen Moment angehaltene Leib. Leibsein ist Werden. Körperhaben ist Gewordensein.

Edwin Hübner

Erschienen in: Das Goetheanum – Wochenschrift für Anthroposophie Nr Nr. 24, 16. Juni 2023

Edwin Hübner, Studium der Mathematik sowie der Physik in Frankfurt/Main und in Stuttgart. Von 1985–2015 Lehrer an der Freien Waldorfschule Frankfurt/Main. Daneben wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Medienpädagogik. Derzeit Inhaber des von Tessin-Lehrstuhls für Medienpädagogik an der Freien Hochschule Stuttgart – Seminar für Waldorfpädagogik.

Endnoten

  1. Günther, Gotthard, Seele und Maschine. In: Beiträge zur Grundlegung einer operationsfähigen Dialektik. Bd. 1. Hamburg 1976, Felix Meiner Verlag, S. 75–90, S. 90)
  2. Rudolf Steiner, Anthroposophische Leitsätze. Der Erkenntnisweg der Anthroposophie. Das Michael-Mysterium. GA 26. Basel 2020, Rudolf-Steiner-Verlag, S. 257.

Teil 2 folgt in einer der nächsten Ausgaben