Die Sorte als Kulturgut

Gemeinsam mit den Züchterinnen und Züchtern des Vereins Kultursaat e. V. setzt sich Arne von Schulz für die biologisch-dynamische Züchtung von Pflanzen ein, die uns eine umfassende Nahrungsgrundlage bieten. Neben seiner Arbeit als Züchter auf der Domäne Fredeburg ist er als Aufsichtsrat bei der Landwege e. G. und als Vorstand bei Kultursaat e. V. tätig.

Was weckte Ihr persönliches Interesse für die Landwirtschaft?

Zum einen waren es unmittelbare sinnliche Erfahrungen: eine Kuh melken, auf dem Feld unter blauem Himmel Heu ernten, der intensive Geruch einer Handvoll Erde. Zum anderen interessiert mich die Landwirtschaft nicht nur als reine Produktion, sondern auch als Kulturaufgabe.

Mit welchen Arten züchten Sie? Was reizt Sie an diesen?

Arne von Schulz bei der Rosenkohlernte
Foto: Douglas Antonio

Meine Hauptprojekte sind Rosenkohl und Wirsing. Dazu kommen Möhren, Spinat, Kürbis, Rettich und Porree. Beim Rosenkohl gibt es kaum ökologisch gezüchtete Sorten. Vor zwölf Jahren habe ich das Projekt Rosenkohl angefangen und die Entwicklung einer neuen Sorte ist mittlerweile abzusehen.

Gibt es übergeordnete Züchtungsziele, die Ihnen besonders wichtig sind?

Es sollen Sorten entstehen, die für die Sinne einen Wert haben. Für das Auge, für den Gaumen und für die Bekömmlichkeit. Es ist wichtig, dass die Sorten uns Menschen umfassend ernähren, bis hinein ins Seelische. Für alle Züchtungsziele gilt aber auch, dass die Pflanzen ausreichend Ertrag bringen. Dann gibt es noch Eigenschaften, die mehr juristischer Art sind. Sorten sind Kulturgut und dürfen nicht privatisiert werden, z. B. über Patente und Ähnliches. Das ist mir wichtig.

Lassen sich bestimmte Pflanzenarten besonders schwer züchten?

Fremdbefruchter, wie z. B. Kohl und Möhren, lassen sich schwerer züchten, weil sie mischerbig sind. Durch die Neukombination vieler Gene ist es nie ganz sicher, was in der nächsten Generation herauskommt. Hinzu kommt, dass Fremdbefruchter beim Gemüse oft erst im zweiten Jahr blühen. Hier liegt die Schwierigkeit im Samenbau. Man muss die ausgewählten Pflanzen über den Winter bekommen und sie im nächsten Jahr pflegen, bis sie gutes Saatgut liefern.

Was zeichnet die sogenannte On-Farm-Züchtung aus?

Bei On-Farm bildet der Betrieb die Grundlage für die Züchtungsarbeiten. Der Hof bildet das Umfeld, in dem Züchtung stattfindet – mit allen ökologischen Maßnahmen, die dort getroffen werden. Zusätzlich werden die On-Farm Produkte direkt auf dem Markt angeboten. So bekommt der Züchter sehr direkt Rückmeldung von den Verbrauchern.

Kann biologische Pflanzenzüchtung auf Dauer wirtschaftlich werden?

Langfristig könnte biologische Pflanzenzucht möglicherweise wirtschaftlich sein. Das hängt davon ab, in welchem Umfang die Sorten im Anbau genutzt werden. Aber die ökologische Züchtung ist auch eine kulturelle, fast schon künstlerische Leistung, die durch Wirtschaft und Gesellschaft unterstützt werden sollte.

Wofür brauchen wir die Vielfalt und was bedeutet sie in der Saatgutzüchtung?

Vielfalt bedeutet Stabilität und Resilienz, egal in welchen Kontext – in der Natur, aber auch im sozialen Miteinander. In der Züchtung braucht es eine genetische Vielfalt, aus der immer wieder Neues entstehen kann. Wenn es am Ende nur noch wenige hochspezialisierte Sorten gibt, die sich zwar gut für den Anbau eignen, wir daraus aber nichts Neues entwickeln können, befinden wir uns in einer Sackgasse und in kritischer Abhängigkeit.

Welche Rolle spielt die Gemeinschaft der Domäne Fredeburg für Ihre Arbeit?

Eine Hofgemeinschaft bedeutet fortwährende soziale Übung. Da werden das Miteinander und die Kompromissbereitschaft geübt. Diese sozialen Fähigkeiten kommen mir im Netzwerk mit den anderen Züchterinnen und Züchtern zugute. Das Leben in der Gemeinschaft bildet eine gute Grundlage für das weltweite Miteinander.

Gibt es für Sie einen Zusammenhang zwischen ihren Berufen als Heilerzieher, Landwirt und Züchter?

Ich wollte mit 19 Jahren Priester werden. Es hieß aber, ich sei noch zu jung und solle erstmal die Welt sehen. Dann habe ich eine landwirtschaftliche- und eine Heilerziehungsausbildung gemacht und zwei Jahre in der Sozialtherapie gearbeitet. Zugute kommt mir diese Erfahrung in der Aus- und Fortbildung. Wir haben Lehrlinge hier auf dem Hof und bieten bei Kultursaat eine Fortbildung an. Letzten Endes bin ich aber Gärtner und Züchter geworden, vielleicht auch eine Art priesterlicher Beruf.

Was braucht es, um gesund durch Ihren fordernden Alltag zu kommen?

Rhythmus, gutes Essen und Herzblut. Ich muss an das glauben, was ich tue und dafür brennen. Das macht mich leistungsfähig. So kann ich lange Tage arbeiten und bin hinterher nicht müde.

Was ist Ihr Wunsch für die Zukunft der Züchtung?

Ich wünsche mir einen Paradigmenwechsel. Die Anspruchshaltung an die äußeren Qualitäten von Pflanzen ist durch die Hybriden in den letzten 20 Jahren exorbitant hoch geworden. Im Vergleich zum letzten Jahrhundert sind die samenfesten Sorten, die meine Kolleg:innen und ich entwickeln, auch schon Hochleistungssorten, und vollkommen ausreichend.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Jytte von Salis

Weitere Informationen:

www.kultursaat.org

www.domaene-fredeburg.de

Erschienen in: Info-Brief Saatgutfonds der GLS Treuhand Zukunftsstiftung Landwirtschaft, Ausgabe 1/2023