Entgrenzung nach rechts?

Scheinauswege aus der Isolation – Teil 2

Die Neue Rechte

Was meine ich genau, wenn ich von rechten Positionen, rechten Kräften spreche? Zunächst einmal ist klar, dass damit rechtsliberale oder rechtskonservative Positionen, wie sie heute beispielsweise in der Partei „Liberal-Konservative Reformer“ (LKR) beheimatet sind, nicht gemeint sind. Auch die Schweizer Volkspartei (SVP) würde ich nicht dazu zählen. Sie gehören zum demokratischen Spektrum und grenzen sich von Kräften, die weiter rechts stehen, mehr oder weniger deutlich ab.

Was ich damit bezeichne, sind vor allem nationalistische und völkische Gruppierungen, die ein kulturell und ethnisch homogenes Staatsvolk anstreben. Von dieser Position aus lehnen sie zum Beispiel den Zuzug von Ausländern ab, wehren sich gegen „Überfremdung“, stehen dem Islam und vor allem den Menschen, die dieser Religion anhängen, feindlich gegenüber. Von dieser Position aus können sie auch „antikapitalistische” Positionen vertreten, weil der Kapitalismus durch seine Nachfrage nach billigen Arbeitskräften dafür verantwortlich sei, dass alle diese „volksfremden“ Gruppen ins Land geholt wurden und weil der Kapitalismus die Mitglieder der eigenen Nation in Reiche und Arme spalte. Sie wehren sich natürlich auch gegen den „gleichmacherischen“ Sozialismus, der ebenfalls die Unterschiede zwischen den Völkern und Kulturen eingeebnet habe.

Wenn sie von Freiheit sprechen, meinen sie immer die Freiheit der eigenen Nation, insbesondere die Freiheit von Kapitalismus und Sozialismus. Der „Dritte Weg“ (vgl. die Partei gleichen Namens) ist dabei eine Umschreibung für den „nationalen Sozialismus“, „National-Sozialismus“, „Sozial-Nationalismus“ und dergleichen Varianten mehr, der an die Stelle der „kapitalistisch-kommunistischen Ordnung“ treten soll.

In Deutschland kommt hinzu, dass viele Anhänger davon ausgehen, dass Deutschland nach wie vor ein besetztes Land sei. Konsequenterweise fordern sie deshalb einen Friedensvertrag. Viele von ihnen sind davon überzeugt, dass der Zweite Weltkrieg von den „westlichen Plutokratien“ eingefädelt worden ist, entweder indem sie Adolf Hitler getäuscht hätten, oder weil er, von der Wall Street finanziert, ein nützlicher Idiot der Westmächte gewesen sei. In jedem Fall sei Deutschland unschuldig am Krieg, und die Entnazifizierung und Demokratisierung nach dem Krieg interpretieren sie als „Umerziehung“ des deutschen Volkes, das durch diese „Verwestlichung“ seiner ureigenen Kultur verlustig gegangen sei.

Diese Gruppen vertreten keinen offensichtlich exterminatorischen Rassismus/Antisemitismus mehr, sondern sie sprechen jetzt von „Ethnopluralismus“. Mit dieser schön klingenden Vokabel wird letztendlich ein segregierender Rassismus bezeichnet, der oberflächlich betrachtet ohne die Abwertung anderer Völker auskommen will, aber doch jedem Volk die ihm zustehende Vorherrschaft in seinem angestammten Gebiet zuspricht. De facto sind militante Aktionen oder Pogrome gegen Minderheiten damit ohne Weiteres vereinbar und haben auch in der jüngeren Vergangenheit in Deutschland und anderswo stattgefunden. Auch wenn es heute netter klingen soll: Am Ende wird damit beinharter, militanter Rassismus begründet.

Die „Baseballschläger-Jahre“ nach der Wende

In der alten Bundesrepublik fielen Rechte vor allem dadurch auf, dass sie „die alten Zeiten“ verherrlichten und in ihren öffentlichen Auftritten imitierten. Dies hatte keine Anziehungskraft für die breitere Gesellschaft. Eine gewisse Änderung im Auftreten ergab sich in den 1980er-Jahren vor allem durch die Rekrutierung von Skinheads und militanten Fußballfans, die eine hohe Gewaltbereitschaft hatten und für die rechten Agitatoren leicht mobilisierbar waren. Sie prägten in dieser Zeit das Bild mit ihren kahl geschorenen Köpfen, Bomberjacken und Springerstiefeln. Auf der anderen Seite waren sie schwer in die rechten Parteistrukturen integrierbar.

Nach der Wende zogen rechte Gruppen scharenweise in die DDR oder vielmehr in die neuen Bundesländer und konnten außerordentliche Rekrutierungserfolge erzielen. Es zeigte sich, dass es in der DDR unter vielen Jugendlichen eine massive Verherrlichung der Nazizeit gab, die die 40 Jahre DDR ungebrochen überlebt hatte. Sie griffen bereitwillig die Parolen der West-Nazis auf, zündeten Ausländerheime an, terrorisierten andersdenkende Jugendliche in ihren Stadtteilen mit Baseballschlägern und versuchten, „national-befreite Zonen“ zu errichten, also Dörfer, Kleinstädte und Stadtteile, in denen Punks, politisch linke und linksliberale, aber auch staatliche Kräfte keinen Zugang mehr hatten.

Diese Phase, die in etwa die 1990er- und 2000er-Jahre umfasste, wird heute auch als „die Baseballschläger-Jahre“ diskutiert. Viele der Menschen, die heute in den östlichen Bundesländern bei PEGIDA oder im Umfeld der AfD aktiv sind, haben in dieser Zeit ihre politische Sozialisierung erhalten. Auch wenn sie heute nicht mehr mit Baseballschlägern und Springerstiefeln unterwegs sind, haben sie an ihrer deutsch-nationalen Ideologie wenig geändert.

Metapolitik

Man darf sich die Neue Rechte ideologisch nicht mehr als monolithischen Block vorstellen. Sie ist sehr debattenfreudig und gliedert sich in viele Fraktionen und Unterfraktionen, die in vielen Einzelfragen unterschiedliche Meinungen haben, sich aber problemlos zu gemeinsamen Aktivitäten verabreden können. Der Anspruch, die rechte Szene ideologisch vereinheitlichen zu wollen, führte immer nur zu absurden Grabenkämpfen und schwächte die rechte Bewegung letztendlich mehr, als dass er ihr nützte.

Der rechte Kulturtheoretiker Alain de Benoist fing deshalb in den 1980er-Jahren, zunächst in der französischen „Nouvelle Droite“, an, auf eine Strategie des Kulturkampfes und eine „Kulturrevolution von rechts“ zu orientieren. Die Zeitschrift „Junge Freiheit“ griff diesen Ball hier in Deutschland auf. Man wollte weg vom rüpelhaften Image der rechten Szene.

Metapolitikern geht es nicht darum, feste ideologische Positionen zu vertreten, sondern durch das Besetzen und Prägen von Begriffen im vorpolitischen Raum und durch das Aufgreifen von Fragestellungen, über die in den Medien und in der Öffentlichkeit diskutiert wird, Themen zu prägen und allmählich eine kulturelle Hegemonie zu erringen.

Das heutige Erscheinungsbild der Neuen Rechten ist vielfältig und bunt – anders kann man es nicht sagen. Es gibt neben den ideologischen und gewaltbereiten Kerngruppen (laut Verfassungsschutzbericht etwa 33.000 Personen in Deutschland) ein breites „Kulturleben” mit Bücherlesungen, Buchläden, Social-Media-Kanälen auf Youtube, Instagram und Twitter, viele Websites und Blogs, Devotionalien-Shops, Lifestyle-Informationen für einen gesunden „deutschen” Lebensstil, mit Rechtsrock-Events und dem Kampfsport-Event „Kampf der Nibelungen“. Für dieses fragmentierte, facettenreiche Erscheinungsbild hat sich deshalb der Begriff „Mosaik-Rechte” eingebürgert.

Metapolitik in der Praxis

Einer der herausragenden Inspiratoren der Bewegung ist Götz Kubitschek. Er hat der völkischen Ideologie ein sprachlich modern wirkendes pseudowissenschaftliches Gepräge gegeben. Er schreibt mit einem sehr ausgefeilten, distinguierten Stil, der sich wohltuend vom krawallartigen Agitationsstil anderer Neurechter unterscheidet. Dabei kann er gut mithalten, wenn es um Hegel, Schelling oder auch die Frankfurter Schule geht. Die „Identitäre Bewegung“ ist von ihm inspiriert worden und verbreitet sein Gedankengut vor allem bei jungen Männern.

Die Zeitschrift „Sezession“ hat er als integrierendes Theorie- und Debattenorgan der Neuen Rechten aufgestellt und erzielt in der Bewegung damit eine enorme Reichweite. Darüber hinaus leitet er den Verlag Edition Antaios, in dem (nicht nur) seine Bücher veröffentlicht werden und das Institut für Staatspolitik, das Kongresse, Bildungsveranstaltungen und Ähnliches organisiert.

Jürgen Elsässer, ursprünglich ein linksextremer Journalist mit Schwerpunkt Antiimperialismus, verfolgte etwa ab der Jahrhundertwende die Strategie, ein Bündnis von linken und nationalistischen Kräften gegen den Imperialismus zu schmieden, die sogenannte Querfront-Strategie. Daraus ist letztendlich nichts geworden, weil die Linken nicht mitzogen. Jetzt arbeitet er nur noch im rechten Spektrum.

Seit 2010 ist er Chefredakteur des Magazins „Compact“, das man als ein rechtes „Kulturmagazin“ bezeichnen kann. Verschiedenste rechte Themen werden darin relativ unideologisch aufbereitet, sodass sie auch für Menschen akzeptabel sind, die sich nicht unbedingt für rechts, rechtsextrem, völkisch oder nationalistisch halten. Es geht eindeutig um Breitenwirkung und nicht um Ideologie. Es zielt im Wesentlichen auf das AfD-, Pegida- und Querdenkerspektrum und die konservative bürgerliche Mitte. Artikel und Debatten über die verschiedensten Varianten von Verschwörungstheorien sowie die gezielte Pflege von Vorurteilen gegen Ausländer, Migranten und islamisch-religiöse Menschen gehören zum regelmäßigen Inhalt.

Ken Jebsen, ehemaliger Waldorfschüler und laut eigener Aussage linksliberal sozialisiert, hat sich im Laufe der Jahre immer weiter nach rechts bewegt. Geschickt verstand er es, auf der Klaviatur der Meinungsfreiheit zu spielen, und ließ gerne „unangepasste“ und „unbequeme“ Meinungsträger in seinen Interviews zu Wort kommen. Nach und nach hat er immer stärker an rechtes Gedankengut angedockt, insbesondere seit der Coronakrise. Deshalb entschied Youtube vor einiger Zeit, dass er diese Plattform nicht mehr nutzen dürfe.

Ein weiterer Brückenbauer in die rechte Szene ist der Kopp-Verlag. Er vertreibt eine krude Mischung aus esoterischer, verschwörungstheoretischer und rechter Literatur. Seit einiger Zeit bietet er auch Produkte aus dem Wellness-Bereich an und versorgt die Prepper-Szene mit Security-Stiefeln, US-Feldhosen, US-Militärrucksäcken und diversen Langzeitlebensmitteln. Man findet im Webshop übrigens anthroposophische, aber auch anti-anthroposophische Literatur. Ob Jochen Kopp aus rein unternehmerischen Gründen so handelt oder aus Überzeugung, sei dahin gestellt. Jedenfalls hat er mit seinem Verlag ein metapolitisches Feld geschaffen, in dem harmlose neben originär rechten Büchern friedlich koexistieren.

Stefan Padberg

Erschienen in: Sozialimpulse Nr. 1, März/2022 (Fortsetzung folgt in der nächsten Ausgabe)

Stefan Padberg, geb. 1959, gegenwärtig tätig unter anderem als Geschäftsführer des Instituts für soziale Gegenwartsfragen.