Zur Sozialgestalt im Waldorfkindergarten

Das Bild der Erzieher:innen am Beispiel von Saßmannshausen

Der Begriff „Sozialgestalt“ im Waldorfkindergarten bezieht sich auf ein pädagogisches Leitmotiv, welches den Grundsatz „Erziehung ist Begegnung“ akzentuiert. Dies bedeutet, dass Erziehung im Waldorfkindergarten dort stattfindet, wo sich Erzieher:innen, Kinder und Eltern auf einer sozialen und zugleich wertschätzenden Ebene begegnen können. Hierbei geht die Waldorfkindergartenpädagogik davon aus, dass das Kind den Erwachsenen nachahmend als Vorbild sucht, also als denjenigen, der buchstäblich Lebensschritte vorbildet. Elemente wie die Persönlichkeit der Erzieher:innen, die Grundhaltung, das Wesen und nicht zuletzt das Fachwissen über die konzeptionelle Arbeit der jeweiligen Einrichtung, sind in diesem Zusammenhang wesentliche Bestandteile der Erziehungsarbeit.

Ferner kann die Erarbeitung von Wissen und der Erwerb von definierten Fähigkeiten in gewisser Kontinuität einen tiefen Einfluss auf die Haltung und somit auf das frühpädagogische Handeln von Erzieher:innen haben. Daher gehöre es in Anlehnung an Saßmannshausen (2003; 2015; 2019) zum Bild der Erzieher:innen, Selbstbildungsprozesse, welche sich zu unterschiedlichen biografischen Lebensabschnitten verschiedenartig gestalten können, zu erfahren. Darüber hinaus gehöre es ohnehin zum Bild der Erzieher:innen, sich bewusst mit der eigenen Persönlichkeit auseinanderzusetzen und sich durch Weiterbildung und der damit einhergehenden Selbstbildungsprozesse im Rahmen der Waldorfkindergartenpädagogik für den praktischen Alltag fortzubilden. Übungen zu methodisch-didaktischen Fragestellungen, zur Kinderbeobachtung und Kinderbeschreibung, sowie zur Konferenz- und Elternarbeit sind in diesem Kontext außerdem bedeutsam.

Mit dem Erwerb von fachlichem Wissen, welches im Rahmen der Selbst- und Weiterbildung in der Waldorfkindergartenpädagogik gewonnen werden kann, geht des Weiteren der Prozess der sogenannten „abendlichen Rückschau“ einher. Wiehl & Auer (2019) merken hierzu an, dass erworbenes Fachwissen durch eine bewusste Reflexion und Einbindung von Tagesereignissen zu einer höheren Selbsterkenntnis und infolgedessen zu mehr Kompetenz im praktischen Alltag führen kann. Dies lässt darauf schließen, dass es für Erzieher:innen stets von hoher Bedeutung ist, erworbenes Fachwissen mit Geschehnissen aus dem Kindergartenalltag zu verknüpfen, damit von einer adäquaten Interpretation der konzeptionellen Grundlagen ausgegangen werden kann. Patzlaff & Saßmannshausen (2020) ergänzen überdies, dass Erziehung in erster Linie Selbsterziehung der Erzieher:innen sei, da diese mehr bewirke als jedes noch so gute Erziehungs- und Bildungsprogramm. Damit folglich der pädagogischen „Vorbildfunktion“ entsprochen werden kann, wird also empfohlen, dass sich Erzieher:innen in ihrem Tätigsein reflektieren und die auf diese Weise gewonnen Erkenntnisse, mit dem Ziel, die Qualität der pädagogischen Arbeit zu steigern, in die Arbeit am Kind einfließen lassen. Dies bestätigen auch Kardel, McKeen & Patzlaff et al. (2015), indem sie anmerken, dass alle Fragen, die mit den Kindern und ihrer Entwicklung zusammenhängen, zugleich auch immer Fragen an die Erzieher:innen selbst sind, zum Beispiel in welcher Weise sie sich verändern können, um dem Kind einen entsprechenden Entwicklungsraum zu geben.

Abschließend kann festgehalten werden, dass, nur wenn Bildung und Erziehung auf die aktuelle Begegnung setzten und Kind und Erzieher:innen einander als nicht austauschbare einmalige Partner:innen dieser Begegnung anerkennen können, kann von einer qualitativen Begegnung in der Erziehungskunst im Rahmen der Sozialgestalt im Waldorfkindergarten gesprochen werden.

Nils Johannes Kubiak

Literaturverzeichnis:

Kardel, T., McKeen, C. & Patzlaff, R. et al. (2015). Waldorfpedagogik für die Kindheit von 3 bis 9 Jahren. Bildungsziele Bildungsbereiche Bildungsbedingungen (3., durchgesehene Auflage). Stuttgart: Pädagogische Forschungsstelle beim Bund der Freien Waldorfschulen e.V..

Patzlaff, R. & Saßmannshausen, W. (2020). Leitlinien der Waldorfpädagogik für die Kindheit von 3 bis 9 Jahren (4. Auflage). Stuttgart: Pädagogische Forschungsstelle beim Bund der Freien Waldorfschulen e.V..

Saßmannshausen, W. (2003). Waldorfpädagogik im Kindergarten. Profile für Kitas und Kindergärten. Freiburg im Breisgau: Verlag Herder.

Saßmannshausen, W. (2015). Waldorfpädagogik im Kindergarten. Pädagogische Ansätze auf einen Blick. Freiburg im Breisgau: Verlag Herder GmbH.

Saßmannshausen, W. (2019). Erziehung ist Begegnung. Menschen zwischen Werden und Sein. Frankfurt am Main: Info3-Verlagsgesellschaft Brüll & Heisterkamp KG.

Vieser, A. (2020). Vorbild und Achtsamkeit im Tagesablauf des Waldorfkindergartens. In Wiehl, A. (Hrsg.), Studienbuch Waldorf-Kindheitspädagogik (S. 151-164). Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.

Wiehl, A. & Auer, W. (2019). Kindheit in der Waldorfpädagogik (1. Auflage). Weinheim und Basel: Beltz Juventa.