Brot oder Benzin?

Um die Lebensmittelversorgung hierzulande und weltweit zu sichern, ist die Rückabwicklung von Klima- und Umweltschutzzielen der falsche Weg. Die letzten Jahre haben hinreichend gezeigt, dass noch mehr Überproduktion und Intensivierung in der Landwirtschaft das globale Hungerproblem nicht lösen werden.

Der Ukrainekrieg hat in Europa eine Debatte über Ernährungssicherheit und die Ausrichtung der Landwirtschaft angefacht. Was bedeutet das für die Klima- und Agrarwende, für Bienen und Biodiversität?

Der russische Angriff auf die Ukraine hat nicht nur die Gräuel des Krieges zurück nach Europa gebracht. Auch weit abseits der immer brutaleren Kampfhandlungen bedroht der Krieg Millionen von Menschenleben im globalen Süden. Die Ukraine ist einer der weltweit führenden Exporteure von Weizen, Mais und Ölsaaten. Nach eigenen Angaben versorgte das Land in Friedenszeiten rund 400 Millionen Menschen weltweit mit Getreide – vor allem in Nordafrika, dem Nahen Osten und Asien. Dieses Getreide steckt nun tonnenweise in blockierten Häfen fest und steht plötzlich nicht mehr für die Welternährung zur Verfügung. Der russische Angriffskrieg richtet sich zunehmend auch direkt gegen die landwirtschaftliche Infrastruktur der Ukraine. In großem Maßstab werden Getreide und Landmaschinen gestohlen oder vorsätzlich zerstört. Viele Zeichen deuten darauf hin, dass der russische Machthaber Wladimir Putin bewusst eine globale Hungerkrise provozieren möchte, um sie als politisches Druckmittel gegen westliche Sanktionen einzusetzen.

Auch in Westeuropa ist die Sorge um die eigene Ernährungssicherheit spürbar gewachsen. Akute Nahrungsknappheit droht bisher nicht, aber die Lebensmittel- und Energiepreise sind im Zuge des Ukrainekonflikts auch hierzulande sprunghaft angestiegen. Rohstoffspekulant*innen machen ihr hässliches Geschäft mit der menschlichen Not und treiben die Preise immer weiter nach oben.

Agrarlobby macht Stimmung gegen Umweltziele

Die EU-Kommission steht angesichts dieser Entwicklungen mächtig unter Druck. Gerade erst hat sie den Europäischen Green Deal auf den Weg gebracht – mit wichtigen Klima- und Umweltzielen auch für die Landwirtschaft. Der Anteil des Biolandbaus soll bis 2030 auf 25 Prozent steigen. Auf den Äckern und Weiden soll wieder mehr Platz für Biodiversität entstehen. Der Pestizideinsatz soll mindestens um die Hälfte gesenkt werden. Selbst diese Ziele reichen nach Auffassung zahlreicher WissenschaftlerInnen und UmweltexpertInnen nicht aus, um die immensen Herausforderungen des Klimawandels und der Biodiversitätskrise in der Landwirtschaft zu bewältigen.

Bild: Thomas Radetzki
Foto: privat

Seit Kriegsausbruch werden nun vornehmlich wirtschaftsliberale Stimmen laut, die meinen, die EU solle jetzt ihre Agrarproduktion ankurbeln und mehr Getreide für den Weltmarkt produzieren. Der Umwelt- und Klimaschutz solle dafür besser hinten anstehen. Erik Fyrwald, Chef des Agrarkonzerns Syngenta, nutzte die Gunst der Stunde, um gleich zu einem Generalschlag gegen die Biolandwirtschaft auszuholen. In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung fordert er die sofortige Abkehr vom Biolandbau und verbreitet die dreiste Falschbehauptung, der Konsum von Bioprodukten trage indirekt zum Hunger in Afrika bei. Syngenta gehört zu den weltweit führenden Produzenten von Pestiziden und Saatgut. Schamlos versuchen Fyrwald und andere Industrielobbyisten, den Ukrainekrieg für die eigenen Profitinteressen zu instrumentalisieren und Umweltinteressen beiseite zu fegen.

Wackelt Europas Green Deal?

Die EU-Kommission betont zwar öffentlich, dass an den Zielen ihres Green Deals nicht zu rütteln sei. Einige Entscheidungen der Kommission säen aber Zweifel daran, wie ernst sie es mit ihren Bekenntnissen meint. Bereits wenige Wochen nach Kriegsausbruch legte sie einen Maßnahmenplan für eine gesteigerte Lebensmittelproduktion innerhalb der EU vor. Einer der darin gefassten Vorschläge sieht vor, LandwirtInnen in diesem Jahr zu erlauben, auch auf ökologischen Vorrangflächen Mais und Getreide anzubauen. Auf Flächen also, wo eigentlich Blühstreifen und Brachflächen die stark bedrohte Insekten- und Artenvielfalt schützen sollen. Nach Ansinnen der EU-Kommission sollen selbst dort jetzt Monokulturen angebaut und Pestizide eingesetzt werden dürfen.

Außerdem hat die EU-Kommission beschlossen, zwei lang erwartete Gesetzentwürfe zur Umsetzung des Green Deals aufzuschieben. Einer davon soll das Ziel, den Pestizideinsatz bis 2030 um 50 Prozent zu senken, für alle Mitgliedsstaaten rechtlich verbindlich machen. Für den Schutz von Bienen und Biodiversität ist die Pestizidreduktion eine besonders wichtige Maßnahme. Die Aurelia Stiftung und andere Umweltorganisationen befürchten, dass hinter den Kulissen an einer weiteren Abschwächung des Green Deals gearbeitet wird.

Hunger ist ein Verteilungsproblem

Um die Lebensmittelversorgung hierzulande und weltweit zu sichern, ist die Rückabwicklung von Klima- und Umweltschutzzielen der falsche Weg. Die letzten Jahre haben hinreichend gezeigt, dass noch mehr Überproduktion und Intensivierung in der Landwirtschaft das globale Hungerproblem nicht lösen werden. Bereits vor Ausbruch des Krieges hatte die Covid-Pandemie zu einer Hungerwelle geführt; und auch schon in den Jahren davor war die Zahl der weltweit Hungernden wieder stark angestiegen, laut der Deutschen Welthungerhilfe auf bis zu 811 Millionen Menschen (Stand 2020). Daran konnte auch die massive Überproduktion von Nahrungsmitteln nichts ändern. Hunger ist – darin sind sich die meisten ExpertInnen einig – in erster Linie ein Armuts- und Verteilungsproblem.

Eine weitere Intensivierung der Getreideproduktion in Deutschland und Europa ist somit keine nachhaltige Antwort auf die derzeitige Ernährungskrise. Kurzfristig nicht, weil das auf den Vorrangflächen zusätzlich produzierte Getreide keinen nennenswerten Einfluss auf die Erntemengen und Weltmarktpreise haben wird. Langfristig nicht, weil damit enorme Umweltkosten einhergehen, die die Klima- und Biodiversitätskrise nur weiter verschärfen werden. Stattdessen sollte die Politik ökologische und regionale Produktionskreisläufe stärken. Damit werden LandwirtInnen unabhängiger von fossilen Energieträgern, Pestiziden und Mineraldünger, die maßgeblich auch mit russischem Öl und Gas produziert werden. Die Preise für Düngemittel haben sich seit Kriegsbeginn sogar vervielfacht. Das macht unseren LandwirtInnen schwer zu schaffen.

Weniger Getreide für Tiere und Autos

Nachhaltige Lösungsvorschläge, um die globale Versorgungslage kurz- wie langfristig zu verbessern, liegen zuhauf auf dem Tisch. Sie wurden in den vergangenen Wochen von Naturschutzorganisationen, Bioverbänden sowie von hunderten WissenschaftlerInnen in Positionspapieren zusammengetragen. Dazu gehören zuallererst Maßnahmen, um die Massentierhaltung und den Fleischkonsum in Deutschland und Europa zu reduzieren. Etwa 60 Prozent des in Deutschland produzierten Getreides werden an Tiere verfüttert, nur circa 20 Prozent dienen unmittelbar der Ernährung von Menschen. Eine Reduzierung der Tierbestände würde somit bedeutende Flächen für den Anbau von Lebensmitteln freisetzen und zusätzlich dem Klimaschutz dienen.

Als eine weitere mittelfristige Maßnahme wird empfohlen, den aus Klimaschutzperspektive kontraproduktiven Energiepflanzenanbau für Agrokraftstoffe drastisch zurückzufahren. Allein in Deutschland könnten hierdurch nach Angaben des Deutschen Naturschutzrings rund 800.000 Hektar Ackerland gewonnen werden. Auch ein konsequenteres Vorgehen der Politik gegen Lebensmittelverschwendung und Nahrungsspekulation ist nötiger denn je. Besonders betroffene Länder müssen durch internationale Zusammenarbeit dazu befähigt werden, ihre eigene Agrarproduktion nachhaltig zu verbessern und ihre Importabhängigkeit zu verringern.

Bundesregierung will Agrarwende anpacken

Für ein stabileres und gerechteres Ernährungssystem braucht es eine umfassende und nachhaltige Transformation der Landwirtschaft – und zwar ohne weiteren Aufschub. Das hat auch die Zukunftskommission Landwirtschaft, die noch unter Angela Merkel einberufen worden war, unmissverständlich klargestellt. Die pestizidgestütze Intensivlandwirtschaft kann dabei keine Lösung sein, im Gegenteil, sie verschärft die aktuelle „Lage der vielfachen Krisen“ immer weiter. Das hat auch der jetzige Bundesagrarminister Cem Özdemir verstanden, wenn er sagt: „Ich rate dringend dazu, die eine Krise nicht gegen die andere auszuspielen.“

Özdemir hat sich bisher als standhafter Verfechter einer Agrar- und Ernährungswende hervorgetan. Er hat sich dazu entschieden, die ökologischen Vorrangflächen in Deutschland nicht für den Getreideanbau, sondern lediglich zur Beweidung und Schnittnutzung freizugeben. Dieser Kompromiss ist aus Umweltschutzperspektive ein Rückschritt, verhindert aber immerhin, dass auf den Flächen Pestizide eingesetzt werden können. In den kommenden Wochen wird die Bundesregierung beweisen müssen, ob sie ihren Einfluss in Europa zu nutzen weiß, um ein weiteres Rollback beim Green Deal zu verhindern. Ernährungssicherheit, Klimaschutz und der Erhalt der Biodiversität können nur gemeinsam gelingen.

Thomas Radetzki

Erschienen in: Aurelia, Das Magazin der Aurelia-Stiftung, Sommer 2022