Vom Marien- zum Sophienland

Das Buch ‹Die Ostsee-Mysterien› erschließt mythologische Lesarten

Bilder, Metaphern und Mythen prägen die Diskurse der Gegenwart. Die Beiträge des Buches ‹Die Ostsee-Mysterien› erschließen Mythen des Ostseeraumes in ihren geologischen und menschheitsgeschichtlichen Dimensionen.

Die Pipeline ‹Nord Stream 2› und Begegnungen zwischen Nato und russischem Militär rücken die geopolitische Bedeutung der Ostsee ins Bewusstsein. Dieses Gebiet weist seit Menschengedenken Besonderheiten auf. Diese umfassen Aspekte wie unzählige Flüsse und Inseln sowie das Zusammenkommen von Salz- und Süßwasser, die Präsenz vieler Anrainer-Bevölkerungen sowie mehr oder weniger deutliche Spuren von Mysterienkulturen.

Ausschnitt des Buchcovers von ‹Die Ostsee-Mysterien› im Verlag am Goetheanum
Foto: Volkmar Herre

Mysterienkulturen zeichnen sich dadurch aus, dass sie den Menschen in einen Zusammenhang mit Erde und Kosmos stellen, Mensch- und Weltentwicklungen darstellen und so im Menschen eine Entwicklung anregen. Die gewählte ‹Fachsprache› erzählt von Wesen und Vorgängen in personalisierter Form. Ein Beispiel: der Drache. Rudolf Steiner brachte die Gliedmaßen des ‹Ostsee-Drachen› in einen Zusammenhang mit Sagengestalten aus der ‹Kalevala›, etwa die Rigaer Bucht mit Väinämöinen, den Bottnischen Meerbusen mit Lemminkäinen und den Finnischen Meerbusen mit Ilmarinen. Ein Drache kann darüber hinaus für den Menschen stehen, der seine Seelenkräfte nicht beherrscht. Die Wikinger wählten für ihre Schiffe die Drachenform als Bild für die Auseinandersetzung mit der Außenwelt, während die Sesshaften Kirchenschiffe in Drachengestalt, die Stabkirchen, bauten als Bild für die im Inneren auszufechtenden Kämpfe.

In Mythen sind Wirksamkeiten angelegt, insofern Bilder – wie Ideale – Kräfte im Menschen entbinden können. Bei den für den Ostseeraum erschlossenen Bildern geht es um Entwicklungsmotive: Thor brachte dem Menschen die Möglichkeit zur Individualität, Odin das Seelenwesen mit der Sprache und Freyr Erden-Handlungsfähigkeiten. Dem steht die Midgardschlange, Bild für die Selbstheit, den Egoismus, entgegen; und der Fenriswolf tötete Odin, wird aber von Widar mit Hilfe der Schicksalsspuren der Menschen besiegt werden.

Zu Mysterien gehören auch Verheißungen. Bei einem Teil des Ostseeraums ist dies die Entwicklung von einem Marien- zu einem Sophienland. Maria steht dabei für die «Seele des Menschen», «die durch die Kontemplation das Wort (den Logos) gebären soll», und Sophia für ein kommendes «Weisheitschristentum», so Hans-Jørgen Høinæs im Buch ‹Die Ostsee-Mysterien›.

Ansprechpartner

Thomas Didden

Buch Peter Schmiedel, Arne Klingborg et al: Die Ostsee-Mysterien im Werdegang der Menschheitsgeschichte, Verlag am Goetheanum, 2022 (Nachdruck der Ausgabe von 2013), 172 Seiten, 23 Franken