Ökologischer Freiwilligendienst

Nachhaltigkeit erleben

Erstmals ist es in diesem Jahr möglich, über die Freunde der Erziehungskunst auch ein Freiwilliges Ökologisches Jahr zu leisten. Diese Neuerung ist ein wichtiger Lückenschluss in unserer Arbeit, denn das Thema liegt uns schon lange am Herzen.

Wie können und wollen wir heute so leben, dass auch zukünftige Generationen in einer lebenswerten Welt aufwachsen? Wie gestalten wir Landwirtschaft so, dass sie auf Mensch, Tier, Boden und Klima gesundend wirkt? Welche Pädagogik braucht unsere Zeit, damit die nachfolgenden Generationen einen respektvollen und verantwortlichen Umgang mit diesen Ressourcen lernen?

Einsatz in der biologisch-dynamische Landwirtschaft, Hofgemeinschaft Grummersort
Foto: Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V.

Mit dem neuen Programm der Inlandsfreiwilligendienste, dem Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ), begibt sich in diesem Herbst die erste Seminargruppe in Einrichtungen in Baden-Württemberg auf die Suche nach Antworten auf diese und viele weitere Fragen. Dabei können sich die jungen Menschen in ganz vielfältigen Bereichen praktisch einbringen, wie beispielsweise im Umwelt-, Natur- und Artenschutz, in der Kultur- und Landschaftspflege, in der biologisch-dynamische Landwirtschaft, der Holzwirtschaft oder der Umweltbildung. Je nach individuellem Interesse der Freiwilligen können sie Kinder in Waldkindergärten begleiten oder Tiere auf einem Bauernhof versorgen. In sozialtherapeutischen Einrichtungen können Freiwillige gemeinsam mit BewohnerInnen Beete bepflanzen, Felder beackern oder im Schulgarten einer Waldorfschule mithelfen.

Spezielle pädagogische Seminare begleiten die Freiwilligen durch das Jahr hindurch: An 25 Tagen, bearbeiten sie Aspekte rund um nachhaltiges Wirtschaften und Handeln. Sie lernen Strategien, mit denen sie neues Handeln einüben und nachhaltig verinnerlichen können. Gemeinsam entwickeln und reflektieren Freiwillige Lösungswege für aktuelle Umweltprobleme. Zudem sind die Seminare Raum für Austausch und Reflexion, um praktische Erfahrungen, die im Dienst gemacht werden, für die Zukunft nutzbar zu machen.

Einsatz in der biologisch-dynamische Landwirtschaft, Hofgemeinschaft Grummersort
Foto: Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V.

Aber was davon ist wirklich neu für uns Freunde? Es wirkt fast so, als käme erst jetzt das Thema der Nachhaltigkeit auf unsere Agenda, das ist jedoch alles andere als richtig. Das Ziel, Mensch und Natur in Einklang zu bringen, leitet die pädagogische Arbeit der Freunde der Erziehungskunst von Beginn an und ist auch als solche in der Vereinssatzung verankert. In all unseren Freiwilligendienstformaten im In- und Ausland ist es uns ein wichtiges Anliegen, dass unsere pädagogischen Seminarleiter:innen Qualifikationen mitbringen, die eine ganzheitliche Bildungsarbeit erlauben und die ein Bewusstsein und Engagement für Mensch, Natur und Kultur im Freiwilligen erweckt. Außerdem kooperieren wir bereits seit 2012 mit dem Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU) und bieten im Bundesfreiwilligendienst (BFD) Stellen und Seminare mit ökologischem Schwerpunkt an.

Über unsere Seminararbeit hinaus sind unsere Einrichtungen und Partner diejenigen, die den Freiwilligen Aspekte von Nachhaltigkeit erlebbar machen und das auf ganz unterschiedlichen Ebenen: Beginnend bei den Höfen der biodynamischen Landwirtschaft, die sich durch schonende Bodenbearbeitung, Erhalt der Bodenfruchtbarkeit, den Verzicht auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel sowie artgerechte Tierhaltung auszeichnen. Daneben sind die sozialtherapeutischen Lebens- und Arbeitsgemeinschaften zu nennen, die echte Inklusion leben, indem die Grenzen zwischen Betreuung und Familienleben verschwimmen und alle zu Mitmenschen und NachbarInnen werden. Wir arbeiten außerdem mit gemeinnützigen Organisationen und Unternehmen zusammen, deren ökonomisches Denken von einer langfristigen Perspektive geprägt ist und die Menschen mit einbezieht, mit denen und für die gewirtschaftet wird. Und natürlich sind die pädagogischen Einrichtungen zu nennen, denn ein wichtiges Bildungsziel der Waldorfpädagogik ist es schon immer, Kinder und Jugendliche zu befähigen, ihr Leben im privaten, gesellschaftlichen und beruflichen Umfeld aus einer verantwortungsbewussten und selbstbestimmten Beziehung zur Umwelt und zu sich selbst zu gestalten. So sind beispielsweise im Lehrplan aller Waldorfschulen der Gartenbauunterricht und Praktika in der Landwirtschaft ganz regulär verankert.

Nachhaltigkeit in Gemeinschaft erleben
Foto: Annett Melzer

Dass diese Impulse nachhaltig wirken, auch weit über den Dienst hinaus, macht unsere Ehemaligenarbeit eindrücklich sichtbar. So setzten beispielsweise bereits vor 10 Jahren ehemalige Freiwillige das Thema der nachhaltigen Ernährung auf die Agenda der Freunde und gründeten eine Kochinitiative. KochteamerInnen versorgen heute jährlich 110 Seminare mit vegetarischem, ökologischem, gesundem und regionalem Essen. Und das ist nur eine von vielen Möglichkeiten des sozialen und gesellschaftlichen Engagements, das Ehemalige nach dem Freiwilligenjahr ergreifen können.

Das FÖJ als explizites Förderprogramm für einen ökologischen Freiwilligendienst ist somit nur ein offizielles Siegel, das wir nach außen tragen können und wollen. In unserem Selbstverständnis jedoch sind und waren wir schon lange echte „Öko-Freunde“. Das hindert uns jedoch nicht daran, uns   kontiånuierlich zu hinterfragen. Denn auch die nächste Freiwilligengeneration fordert uns schon jetzt heraus, weitere Entwicklungsschritte in eine nachhaltigere Zukunft umzusetzen.

Laura Jungmann

Erschienen in: „Waldorf Weltweit“, Rundbrief der Freunde der Erziehungskunst,
Ausgabe Herbst Winter 22/23