Michael Ende, das Mysterium des Geldes und die Finanzmärkte

Der Schriftsteller Michael Ende litt darunter, dass man ihn vor allem als Kinderbuchautor wahrnahm. Schließlich sprach Ende auch Erwachsene an: einige seiner Bücher verweisen auf fehlerhafte Strukturen im Geldwesen, die mit zu Finanzmarkrisen geführt haben und weiter führen werden, jedoch selbst heute von den Medien kaum diskutiert werden.

In seinem Prosastück „Die Bahnhofskathedrale stand auf einer großen Scholle“1 lässt Ende einen Greis auftreten. Der predigt von der Kanzel herab „mit weitausholenden Armbewegungen“ über das Mysterium des Geldes. „Das Geld vermag alles“, lässt Ende den Prediger rufen, „es verbindet die Menschen miteinander durch Geben und Nehmen, es kann alles in alles verwandeln, Geist in Stoff und Stoff in Geist, Steine macht es zu Brot und schafft Werte aus dem Nichts, es zeugt sich selbst in Ewigkeit, es ist allmächtig, es ist die Gestalt, in der Gott unter uns weilt, es ist Gott!“2

Hier werden die möglichen segensreichen Wirkungen des Geldes angesprochen. Durch Geben und Nehmen verbindet es die Menschen. Es führt zu Wohlstand, wenn es als neutrales Tauschmittel den Menschen als Diener zur Verfügung steht. Dafür wurde es ursprünglich auch gemacht. Wenn der Mensch jedoch zulässt, dass das Geld zum Herrschaftsinstrument wird, das die Welt regiert und nur einer kleinen, immer reicher werdenden Minderheit dient, dann bringt sind unheilvolle Entwicklungen die Folge. Geld „zeugt sich selbst in Ewigkeit“, ruft Endes Prediger. Gemeint ist damit die Vermehrung des Geldes über das Prinzip von Zins und Zinseszins. Wer kennt nicht die Geschichte vom Pfennig, der – wenn er im Jahre Null zu 5 Prozent angelegt worden wäre und alle Währungszusammenbrüche überstanden hätte, mittlerweile zu einem Vermögen angewachsen wäre, das dem Wert von Milliarden und Abermilliarden von Erdkugeln aus purem Gold entspräche?3

Geld ist heute vielfach zu Götzen geworden, der Prediger in Endes Stück sagt freilich: „es ist die Gestalt, in der Gott unter uns weilt, es ist Gott!“. Im Matthäusevangelium heißt es freilich in der Bergpredigt: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“.4 So zieht sich das Ringen um den Zins wie ein roter Faden durch die Religions- und Kirchengeschichte. Auf evangelischer Seite wurde allerdings bereits um 1600 Luthers prinzipielle, zum Teil sehr extrem vorgetragene Absage an das Zinsnehmen unauffällig korrigiert und der entstehenden Geldwirtschaft Rechnung getragen. Die Katholische Kirche rang sehr viel länger um die Zinsfrage. Die ersatzlose Streichung des Zins-Kanons im neuen Kirchengesetzbuch von 1983 markiert das Ende des katholischen Zinsverbotes. Lediglich der Islam hält formal am Zinsverbot noch fest, das allerdings häufig umgangen wird. Schariakonforme Geldanlagen jedenfalls werden immer mehr nachgefragt. Die Durchsetzung eines Zinsverbotes allerdings hätte gravierende Folgen für den Geldkreislauf: weil kaum jemand noch Geld als Tauschmittel zur Verfügung stellen würde, käme der Geldumlauf weitgehend zum Erliegen. Das war auch die Situation während der Deflationszeit der großen Weltwirtschaftskrise. Doch bereits damals gab es Selbsthilfeexperimente in Schwanenkirchen und Wörgl, auf die Michael Ende 1989 in einem Gespräch mit Josef Beuys an der Freien Volkshochschule Argental e.V. hinwies.5 So gelang es durch die Einführung eines eigenen Geldes mit dem Namen „Arbeitswertscheine“ im österreichischen Wörgl, die Arbeitslosigkeit innerhalb kurzer Zeit um einen zweistelligen Prozentsatz zu senken, während sie in Restösterreich stieg. Die Wörgeler Arbeitswertscheine liefen deshalb um, weil ihre Zurückhaltung mit einer Gebühr bestraft worden wäre. Also gab jeder sein Geld aus oder trug es zur Bank. Damit hatten Verkäufer und Bank den „Schwarzen Peter“: um ihrerseits der Geldrückhaltegebühr zu entgehen, gaben sie die Arbeitswertscheine ebenfalls weiter. So florierte die lokale Wirtschaft mit den oben angegebenen Effekt. Als mehr als hundert österreichische Gemeinden dieses Modell nachahmen wollten, schritt die Notenbank in Wien unter Berufung auf ihr Geldmonopol ein und verbot derartige Selbsthilfeansätze. Nach dem gleichen Prinzip wie die Initiatoren des Wörgeler Geldmodells sichern auch die Urheber vieler Regionalwährungen den Umlauf ihrer Gutscheine. Der beschriebene genial einfache, aber eben funktionierende Mechanismus, auf den sich Wörgeler Geldreformer stützten und beriefen, geht im übrigen auf Silvio Gesell, einen Zeitgenossen Rudolf Steiners zurück. Doch auch Rudolf Steiner regte an, dass das Geld, „sich abnützen“ müsse, damit es nicht „zurückbehalten werde“. Im Rahmen des Nationalökonomischen Seminars forderte Steiner, „dass das Geld alt werden muss.“ Es handle „sich lediglich darum, auf welche Weise man das technisch ausführen kann.“

Doch zurück zu Endes Prediger, der auch die Werbesprüche der Bankbranche auf subtile Weise aufs Korn nimmt. Die Masse der Banken suggeriert nun seit Jahrzehnten ihren Kunden, dass beim Zinsmonopoly jeder gewinnen würde. Wir alle haben bereits als Kinder in der Schule gelernt, dass ein Geldbetrag von 1000 Euro bei einem Zinssatz von 5 Prozent im ersten Jahr 50 Euro, im zweiten Jahr bereits 52,50 Euro an Zinsen einbringt und sich nach nur knapp 15 Jahren durch den Zinseszinseffekt bereits verdoppelt und nach 29 Jahren vervierfacht hat. Die Frage, wer die Zinsen für die ständig wachsenden Geldvermögen erarbeiten bzw. aufbringen muss, wird in der Schule leider nur selten gestellt. Endes Prediger führt die Vorstellung der wundersamen Geldvermehrung ad absurdum: „Wo alle sich an allen bereichern, da werden am Ende alle reich! Und wo alle auf Kosten aller reich werden, da zahlt keiner die Kosten! Wunder aller Wunder! Und wenn ihr fragt, liebe Gläubige, woher kommt all dieser Reichtum? Dann sage ich Euch: Er kommt aus dem zukünftigen Profit seiner selbst! Sein eigener zukünftiger Nutzen ist es, den wir jetzt schon genießen! Je mehr jetzt da ist, desto größer ist der zukünftige Profit, und je größer der zukünftige Profit, desto mehr ist wiederum jetzt da. So sind wir unsere eigenen Gläubiger und unsere eigenen Schuldner in Ewigkeit, und wir vergeben uns unsere Schulden, Amen!“.6

Theologen verwenden gelegentlich das Bild von der „falschen Ewigkeit“7 des Geldes. Die Zeit gehöre uns nicht, sie gehöre Gott allein. Also dürften wir den Verlauf der Zeit nicht auf unsere Mühlen lenken. Genau das geschehe in der Geldwirtschaft. Zinsgewinne seien nur möglich, weil die Zeit für das Kapital arbeite. Wenn man davon absieht, dass es ja letztlich Menschen sind, die die gigantischen Zinsgewinne einiger weniger Superreicher erwirtschaften müssen, so fällt einem dabei doch der Satz „Zeit ist Geld“ ein. Dieser Satz realisiert sich erst durch den Zins. Und wer denkt dabei nicht an die „Grauen Herren“ in Michael Endes Roman „Momo“? Diese Grauen Herren stehlen den Menschen ihre Stundenblumen. Zum Glück gelingt es Momo am Ende, zu den Banktresoren in der Zentrale der Zeit-Sparkasse vorzudringen, die eingefrorenen akkumulierten Geldvorräte mit dem letzten Blütenblatt ihrer schon welkenden Stunden-Blume zu berühren, das schlafende Geld gleichsam ‘wachzuküssen’ und dadurch „die ganze geraubte Zeit zu befreien“ (S. 244) und zu neuem Leben zu erwecken. Im Moment der Berührung vollzieht sich – wie bei Rudolf Steiners „alterndem Geld“ und Silvio Gesells „rostenden Banknoten“ – die Anpassung des Geldes an die ewig gültige Allgesetzlichkeit von Stirb und Werde. Dem Ökonomen Werner Onken gelang die Entschlüsselung dieses Endeschen Märchen in seinem Aufsatz „Momo für Ökonomen“8 , der übrigens auch für Nichtökonomen sehr gut verständlich ist.

Dass sich Michael Ende tatsächlich intensiv mit dem Geld beschäftigt hat, geht unter anderem auch aus seinem letzten Buch, „Michael Endes Zettelkasten“9 hervor.

Dort widmet er dem Thema „Geld und Wachstum“ ein ganzes Kapitel. Im Programm der Theaterinszenierung des Endeschen Buchs „Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch“, in dem auch eine Geldhexe vorkommt, erläutert Ende dem damaligen Chefdramaturgen des Münchner Volkstheaters, Helmar von Hanstein, seine Auffassungen vom Geld. In unserem Geldsystem stecke ein „karzinombildendes Element“, was unsere Wirtschaft „fortwährend krank“ mache.10 Auch Rudolf Steiner verwendete gelegentlich das Bild vom sozialen „Karzinom“ bzw. von der „Geschwürbildung“11 , letztere im Zusammenhang mit Zinseinkünften, denen keine entsprechende Gegenleistung gegenübersteht.

Hier liegt einer der Schlüssel zum Verständnis der tieferen Ursachen der gegenwärtigen Finanzkrise. Das Geldwesen kann verändert und gestaltet werden, zum Wohle der Menschen. Und wenn Michael Endes Prediger ruft: „Geld ist Wahrheit und die einzige Wahrheit. Alle müssen daran glauben!“12 , dann ist die Doppeldeutigkeit des „daran Glaubens“ vor dem Hintergrund wachsenden Hungers und Elends in der Welt nicht zu übersehen. „Sie sterben an unserem Geld“, so lautete der Titel eines der Bücher von Susan Sonntag.

Unser Wort „Münze“ verweist ebenso wie das englische „money“ auf die römische Schutzgöttin der Münze, nämlich „Moneta“ (lat: Mahnerin). Moneta war der Beiname der Göttin Juno. Ihr Symbol war die Waage. Das hatte sie mit der „aequitas“, der Göttin der Gleichheit, gemein. Sie ist das Symbol dafür, dass das Geld immer im Gleichgewicht mit dem bleiben muss, was wir Verteilungsgerechtigkeit nennen.7 In den griechisch sprechenden Provinzen wurde Moneta mit „Nemesis“ wiedergegeben. Sie war die Göttin der Vergeltung. Sie bestrafte die Menschen für allzu hohe Selbstüberschätzung. Darum ist die Zähmung des Geldes wirtschaftlich und politisch vernünftig; denn wenn das Geld von der Gerechtigkeit13 getrennt wird, droht Gefahr.7

Die gegenwärtige Finanzkrise, die sich erst im Anfangsstadium befindet, zeigt uns, dass im Durchschauen der Geldprozesse und der Schaffung eines Geldes, das dient und nicht herrscht, die große Herausforderung unserer Tage besteht. Michael Ende hat frühzeitig versucht, uns darauf aufmerksam zu machen.

Aufgegriffen haben Endes Hinweise weder die Politik noch die Wissenschaften. Ausnahmen sind die ehemalige Bundestagsvizepräsidentin Dr. Antje Vollmer14 und die Literaturwissenschaftlerin Dr. Heike Polster15, die beide äußerst lesenswerte Aufsätze dazu verfasst haben.

Frank Bohner

1 Michael Ende: Der Spiegel im Spiegel. München 1990, S. 41

2 ebenda

3 Margrit Kennedy: Geld ohne Zinsen und Inflation. München 2006

4 Matthäusevangelium, 6,24

5 Beuy, Joseph: Kunst und Politik:

ein Gespräch/Joseph Beuys; Michael Ende. Wangen 1989, S. 38

6 siehe Anm. 1, S. 41f.

7 Geiko Müller-Fahrenholz: Von der falschen Ewigkeit des Geldes. Südwestfunk Kirchenfunk, 8.12.1996, 7:50 Uhr in S2 Kultur

8 Kontakt zum Autor siehe Internet:

www.sozialoekonomie.info

Ende, Beuys und Binswanger

9 Michael Ende: Michael Endes Zettelkasten. Stuttgart, Wien, 1994, S. 275f.

10 Der Dritte Weg, Essen, Mai 1992, S.15.

11 Rudolf Steiner: Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage 1915-1921. Dornach 1961, S. 215f.

12 siehe Anm. 1, S. 41

13 Das Motto diverser Gruppen lautet daher „Gerechtes Geld – gerechte Welt“; siehe www.inwo.de, www.cgw.de,

www.sffo.de

14 Dr. Antje Vollmer : siehe https://www.antje-vollmer.de/momo.htm

15 Dr. Heike Polster: siehe https://newprairiepress.org/sttcl/vol40/iss2/5/ bzw. https://www.academia.edu/28936884/Corrupting_Capitalism_Michael_Ende_s_Momo_and_Cathedral_Station_