Im Konferenzraum

Anfang August besuchte Christopher Marcus das Goetheanum. Mit ‹Mithras›, ‹Kaspar Hauser›, den ‹Mysteriendramen›, dem Epischen Stück ‹Black Earth› und seinem Solo ‹Steiner-Graffity›, das er 135-mal aufführte, hat er das anthroposophische Theaterleben über 30 Jahre geprägt.

Jetzt arbeitet er in der interreligiösen Verständigung in Großbritannien. Ich führe ihn mit seiner Frau Caroline und seinen beiden Söhnen durch das Goetheanum. Im Konferenzraum erinnert er sich: «Hier saß ich», erklärte er  –  seine Hand beschrieb einen Kreis  –,  «und da waren alle von Vorstand und Sektionen und Ensemble versammelt.» Manfred Schmidt-Brabant habe erklärt, dass seine ‹Hamlet›-Inszenierung mit erstmals offenem Bühnenraum künstlerisch hervorragend sei, aber nicht zum Stil des Goetheanum passe. Votum auf Votum, mit nur einer Gegenstimme, unterstrich diesen Bann. Er selbst sei dabei ruhig geblieben, weil er um die Richtigkeit seines Weges wusste. In mir selbst sind noch heute nach 25 Jahren Bilder der eindrücklichen Inszenierung lebendig, die das Theaterleben am Goetheanum in eine neue Zeit führte. Ein paar Tage später im Telefongespräch mit Thomas Didden, der damals die Bühne verantwortete, sagte dieser: «Es gehört zu den tragischen Irrtümern, dass man meint, man pflege die Anthroposophie, indem man ihre Formen zu erhalten versuche.» Solch eine Haltung ist auf kurz oder lang kunstfeindlich, denn Kunst wächst über jede Form hinaus, das macht sie lebendig. Wenn man in Krisen überhaupt etwas Gutes finden kann, dann, dass sie uns drängen, die Formen gehen zu lassen, um so das Eigentliche, den Inhalt deutlicher sehen und neu verwirklichen zu können. Christopher Marcus haben wir nun gefragt, mit dem Ensemble der kommenden Schauspiel-Inszenierung ‹King Lear› von Andrea Pfaehler über Meditation und die Nebenübungen zu arbeiten.

Wolfgang Held

Erschienen in: Das Goetheanum –

Wochenschrift für Anthroposophie

Nr. 35, 2. Sept. 2022