Entgrenzung nach rechts?

Scheinauswege aus der Isolation

– Teil 4

Anthroposophie und rechtes Gedankengut

Man sollte im anthroposophischen Umfeld zur Kenntnis nehmen, dass die rechte Szene mittlerweile sehr schillernd und fragmentiert auftritt. Eine verwirrende Vielfalt an Zeitschriften, Blogs, Instagram- und Telegram-Kanälen verpackt die rechten Inhalte um und macht sie so für die bürgerliche Mitte sowie für junge Menschen verdaulich. Für diese gibt es Lifestyle-Tipps bis hin zu Lebensberatung, harmlos wirkende Initiativen gegen Rundfunkgebühren, gegen islamische Überfremdung und aktuell vor allem gegen die Coronamaßnahmen. Das rechte Gedankengut erhält so immer neue Plattformen und wird zunehmend salonfähig.

In der Anthroposophenschaft hat es immer einzelne gegeben, die sich eindeutig auf der rechtsextremen Seite befinden. Erinnert sei hier an Werner-Georg Haverbeck, der 1929 in den NS-Studentenbund eintrat und Zeit seines Lebens ein bekennender Nationalsozialist geblieben ist. Mit seinem Buch „Rudolf Steiner – Anwalt für Deutschland“ deutete er aus „anthroposophischer” Perspektive den Zweiten Weltkrieg um als Krieg des Westens gegen Mitteleuropa und gab damit dem Narrativ aller Rechten, dass Deutschland eigentlich einen Verteidigungskrieg geführt habe, die „spirituellen Weihen”.

Immer wieder wird von wohlmeinenden Freunden das Buch „Brüder des Schattens“ von Heinz Pfeifer empfohlen. Aus lauter Halbwahrheiten, Gerüchten und Vermutungen mit einem kaum belastbaren Faktenanteil bastelte sich der Autor ein krudes Weltbild zusammen, in dem der vom Westen gesteuerte „Kampf gegen Mitteleuropa” bis in die Zeit der 1980er-Jahre weiterverfolgt wurde (vgl. die Kritik in Christoph Lindenberg, „Auch ein Bruder des Schattens“, in DieDrei 10/1982, S. 716).

Die Zeitschrift „Der Europäer“, herausgegeben von Thomas Meyer, verbreitet solche Verschwörungsnarrative ebenfalls. Lange Artikel über Carol Quigleys und Anthony Suttons Publikationen, die unter Historikern sehr umstritten sind, sowie Mutmaßungen über die Bilderberger, die „Neue Weltordnung“, 9/11 und ähnliche Themen sind dort immer prominent vertreten worden. Gegenwärtig geht es, genau wie in vielen rechten Medien, um den „Great Reset“ und die „Coronadiktatur“.

2020 äußerte Thomas Meyer sich zustimmend über Torsten Schultes Rede auf einer Anti-Corona-Demonstration in Berlin. Torsten Schulte ist ein AfD-naher Historiker, der in seinem Buch „Fremdbestimmt“ geschichtsrevisionistische Thesen verbreitet, die ebenfalls Deutschland als Opfer von westlichen Machenschaften darstellen. Und neuerdings arbeitet Thomas Meyer mit Catherine Austin Fitts zusammen. Sie ist eine reiche Investmentgeschäftsfrau und Trump-Anhängerin der ersten Stunde und – wie kann es anders sein – beinharte Corona-Leugnerin. Sie finanziert ihm jetzt eine „Spiritual Science Academy“ in den USA, wie man einer entsprechenden Pressemeldung entnehmen kann.

Auch Axel Burkart grast offenbar das rechte Umfeld ab. Er annonciert seit Kurzem seine Bücher im Compact-Magazin. Dort wird er als Anthroposophie-Kenner anerkennend in mehreren Artikeln zitiert. In einem Interview mit „Neue Horizonte TV“ über „Spirituelle Hintergründe der Weltpolitik“ spricht er von der „Umerziehung“ des deutschen Volkes nach dem Krieg, was der „anglo-amerikanischen Elite“ durch die „Staatsschulen“ gelungen sei. „Ohne freie Schulen werden wir immer Marionetten bleiben“, hebt er hervor und schließt damit an nationalistische Narrative an. Außerdem offenbart er hier ein äußerst schematisches und reduktionistisches Verständnis von sozialer Dreigliederung.

Martin Barkhoff, der sich seit vielen Jahren in der Waldorfausbildung in Peking engagiert, knüpft ebenfalls völlig selbstverständlich an dieses Narrativ an. Er spricht in einem in der Edition Antaios bei Götz Kubitschek veröffentlichten Briefwechsel mit Caroline Sommerfeld vom „geistigen Volkstod“ der Deutschen und fragt sich, ob und unter welchen Bedingungen es zu einer zukünftigen „Volksauferstehung“ in Form eines neuen „christlichen deutschen Reiches“ kommen könne.

Welchen Nutzen erwartet man sich von der Bezugnahme auf rechte Narrative?

Ich gebe zu, dass ein Unterschied zwischen harter völkischer Ideologie und solchen schwammig anthroposophisch-christlich klingenden, eher schöngeistigen Reflexionen besteht. Es stellt sich aber die Frage, was man damit erreichen will. Vielleicht meinen die Autoren, irgendein Interesse für Anthroposophie wecken zu können? Glauben sie wirklich, im völkischen Umfeld Anhänger gewinnen zu können? Oder fühlen sie sich dieser Szene schon so stark verbunden, dass sie Missverständnisse und Anfeindungen auch aus dieser Szene in Kauf nehmen? Stellvertretend sei hier ein Kommentar eines nationalistischen Lesers zitiert:

„Fast alles in diesem Briefwechsel lehne ich als intellektuelle Hirngespinste und grobe Verfälschungen der Geschichte, wie auch der Realität, ab. (…) Die Axiome des Briefwechsels (…) sind für mich grundfalsch. Wenn in dem Buch dem Christentum die entscheidende Rolle zugedacht ist, ist das zumindest realitätsfremd. Als Atheist sind für mich schon a priori christliche Gedankengänge absurd. (…) Wer auf so etwas baut, ist im vornherein zum Scheitern verurteilt.

Dann wäre da die Biologie (…). Dabei ist die Biologie die Grundlage aller menschlichen Existenz. Wenn eine Menschengruppe gleicher Abstammung es zu einer Hochkultur gebracht hat, ist diese Hochkultur abhängig von deren Trägern. Ändert sich die Zusammensetzung oder nimmt die Zahl unter die Schwelle der Reproduktion ab, schwindet auch die Leistungsfähigkeit der Hochkultur bis zu deren Niedergang. Alles Geistige ist abhängig von den biologischen Trägern. Losgelöst von den Trägern verliert sich der Geist im Nichts.

Die beiden Briefeschreiber wollen nicht (mehr) die biologische Substanz des Deutschen Volkes erhalten, sondern letztlich nur deren „Volksgeist“. Der soll in Einzelnen überleben und wundersamerweise dann nach dem „Volkstod“ zu einer Auferstehung – ohne die biologischen Träger – führen. Ernsthaft: Durch Einzelne in einem Meer der bei uns bald dominierenden 3. Welt? Auch dies ist zumindest realitätsfernes Wunschdenken, das aufzeigt, wie weit man sich geistig verirren kann, wenn man sich in religiöse Sphären flüchtet.“ [Damit meint er den anthroposophischen Hintergrund, der in den Briefen immer wieder durchschimmert, SP]

Man sieht, wes Geistesart diese Leute sind. Wie kann man nur glauben, diesen Abgrund zu überbrücken! Und selbst, wenn man es in diesem oder jenem Einzelfall vielleicht schafft: Was für Leute holt man sich da ins eigene Haus!

Diese Frage würde ich gerne auch Karen Swassjan stellen, der vor Kurzem einen Kommentar zu Russland und der Ukraine in der „Sezession“ veröffentlicht hat. Sein Text wäre an sich kein Problem, die Problematik besteht hier eindeutig in dem Ort der Veröffentlichung.

Republikanische Gesinnung

Ich habe den Eindruck, dass vielen Freundinnen und Freunden offensichtlich ein gehöriges Maß an Unterscheidungsvermögen fehlt sowie jedes Gefühl für den Abgrund, auf den man da zuschreitet – oder den man schon überschritten hat!

Ich wünsche mir, dass die Kultur des „freundschaftlichen Wegguckens” und „gutmütigen Tolerierens” solcher Entwicklungen in unseren Kreisen aufhört und die nötige Wachsamkeit einzieht. Anthroposophische Vokabeln sind keine Gewähr dafür, dass das damit Gemeinte auch im guten Sinne in die Gesellschaft wirkt.

Anthroposophie steht gegenwärtig sowieso verstärkt unter Beobachtung. In so einer Lage die Debatte mit rechten Kräften zu suchen, von denen man für die zukünftige Entwicklung der Anthroposophie und der sozialen Dreigliederung absolut nichts erwarten kann, macht mich ratlos.

Lange Jahre waren solche Phänomene eher Randerscheinungen in der anthroposophischen und Dreigliederungsszene. Schlimm genug, dass es sie überhaupt gab. Ich konstatiere aber vor allem seit der Coronakrise eine nicht zu ignorierende Zunahme solcher Ausflüge in rechtes Gelände.

Rechtes Gedankengut ist nicht einfach eine Theorie, die man ergänzen, erweitern oder verändern kann. Am Beispiel des Briefwechsels zwischen Götz Kubitzky und Armin Nassehi wurde paradigmatisch deutlich, dass es sich um eine Werteentscheidung handelt, welchen Weg man geht. Sie ist nicht auf der Gedankenebene, sondern auf der Willensebene angesiedelt.

Ein falsches Verständnis von Freiheit im Geistesleben verführt manche Freundinnen und Freunde dazu, dass man alle Meinungen tolerieren und mit ihnen in den Dialog kommen können müsse. Kritik wird geradezu als „unanständig“ und „unfreiheitlich“ empfunden. Genau das Gegenteil ist richtig. Wenn sie mit klaren nachvollziehbaren Argumenten erfolgt, ist sie dem Kritisierten eine Hilfe und ein Anstoß bei der eigenen Suche nach Wahrheit. Wenn sich in der Auseinandersetzung aber zeigt, dass inkompatible Wertefestlegungen im Hintergrund stehen, dann hilft eine solche argumentative Auseinandersetzung bei einer objektiven Abgrenzung. Wichtig ist, dass eine solche Abgrenzung nicht auf der Basis von persönlicher Antipathie erfolgt. Das wäre sozial unproduktiv.

Das Institut für soziale Gegenwartsfragen (Stuttgart) grenzt sich entschieden von rechten Initiativen und rechtem Gedankengut ab. Versuche des Dialogs und der Zusammenarbeit mit erwiesenermaßen rechts orientierten Gruppen und Persönlichkeiten – auch in den (vermeintlich) eigenen Reihen – halten wir mit Blick auf die Geschichte des Dreigliederungsimpulses für bestenfalls unbedacht und schlimmstenfalls gefährlich. Uns ist der Preis zu hoch.

Der anthroposophischen Szene fehlt es meinem Eindruck nach durchgängig an so etwas wie „republikanischer Gesinnung“. Das ist nicht das gleiche wie das Arrangieren mit der Wirklichkeit, um die man ja sowieso nicht herumkommt. Es geht eine Gesinnung, die sich mit den Grundwerten dieser Gesellschaft im Einklang weiß, auch wenn viele Einzelheiten in den verschiedenen Bereichen schief laufen und dringend reformiert werden müssen. Hier gilt das Diktum von Winston Chruchill: „Die Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – außer allen anderen, die man bis jetzt versucht hat“. Außerhalb demokratischer Staatsformen gibt es keine Möglichkeit, so etwas wie die Dreigliederung des sozialen Organismus auch nur ins Gespräch zu bringen. Das ständige Stellen der „Systemfrage“ spielt dagegen destruktiven Kräften von rechts bis links in die Hände.

Ich glaube nicht, dass soziale Dreigliederung heute noch – wenn sie es jemals war! – als Gesamtentwurf zu betrachten ist, den man einfach neben die existierende Gesellschaft stellen oder gar gegen sie ins Feld führen könnte. Es gilt vielmehr, das unbewusste, sehr wohl vorhandene Ringen in der Gesellschaft um die gleichzeitige Verwirklichung von Freiheit, Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit immer wieder neu zu stärken.

Stefan Padberg

Erschienen in: Sozialimpulse Nr. 1, März/2022 (vom Autor für die Publikation im Trigonal aktualisiert und bearbeitet)

ENDE des 4. und letzten Teils

Stefan Padberg, geb. 1959, gegenwärtig tätig unter anderem als Geschäftsführer des Instituts für soziale Gegenwartsfragen.