Elixier der Ermöglichung

Diesen Pendelschlag der Extreme, das ist ja etwas, was wir nicht nur in der Natur, sondern auch in der Kultur finden. Die Mitte kommt uns abhanden, wenn wir sie nicht selbst hervorbringen.

Gespräch mit dem Landwirt Martin von Mackensen zur aktuellen Trockenheit in Europa.
Die Fragen stellte Wolfgang Held.

Wie geht es dem Dottenfelder Hof angesichts der Trockenheit?

Auch bei uns ist das Gras braun und vertrocknet, der Hof gleicht einer Steppe, aber wir hatten Glück. Denn der Frühjahrsschnitt hat uns so viel Heu beschert, dass wir damit wohl über den Winter kommen, ohne den Viehbestand zu reduzieren. Außerdem haben wir aus dem vergangenen feuchten Jahr noch einen Überhang an Heu, der uns nun weiterhilft.

Als Landwirt schaut man ja voraus. Hast du eine solche Trockenperiode kommen sehen?

Es war für mich wie für viele Landwirtinnen und Landwirte klar, dass wir mit Zeiten extremer Trockenheit rechnen müssen. Deshalb ist uns auf dem Hof wichtig, dass wir mit dem ersten Grasschnitt, der ja von Dürre in unseren Breiten nicht betroffen ist, 80 bis 90 Prozent für den Winter einfahren können. Deshalb waren wir glücklich, als wir vor einigen Jahren unsere Grünflächen ausdehnen, unseren ‹Futternapf› vergrößern konnten durch neue Pacht. Wir sind in der Fläche gewachsen, ohne mit dem Vieh gleichzuziehen. Das hilft uns jetzt.

So, wie wir jetzt Gas für den Winter speichern, so geschieht es auf jedem Hof mit dem Futter?

Das ist der Lebenszyklus in der Landwirtschaft. Das enorme Wachstum im Frühling liefert das Futter für den Winter. In südlichen Ländern wie Griechenland ist es umgekehrt: Da macht man für den Sommer das Heu im Winter, wenn es warm ist und regnet.

Wie erlebst du die ausgetrocknete Landschaft?

Das ist von Ort zu Ort natürlich verschieden und doch gilt, dass wir in ganz Europa zu wenig Wasser und zu hohe Temperaturen haben. Und wenn ich den Blick in die letzten Jahre hinzunehme, dann sehen wir den starken Wechsel von Trockenheit und Starkregen. So sind ja auch die Szenarien, die uns Klimaforscher malen: Die Extreme nehmen zu und das ist jetzt schon mit Händen zu greifen. Die Natur ist gebeutelt von den Wechseln von Extremen, sodass es eben monatelang nicht regnet und dann lange sehr feucht oder kühl ist, wie letztes Jahr. Diesen Pendelschlag der Extreme, das ist ja etwas, was wir nicht nur in der Natur, sondern auch in der Kultur finden. Die Mitte kommt uns abhanden, wenn wir sie nicht selbst hervorbringen.

Wie steht es um das Grundwasser?

Dramatisch! Wir hatten am Dottenfelder Hof eine Veranstaltung mit Klement Trockner, dem Gewässerökologen und Präsidenten der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung. Da ging es um diese Frage, wie wir den ‹Wasserhaushalt› der Erde verstehen und pflegen lernen. Mir ist dabei viel deutlicher geworden, dass wir diese Wasserwelten von Regen über der Erde, den Bächen und Strömen auf der Erde und dem Grundwasser in der Erde nicht voneinander trennen dürfen. Wir haben auf unserem Hof das Flüsschen Nidda. Da haben wir es lebensnah: Da fließt Grundwasser in das Gewässer und vom Gewässer ins Grundwasser. In der Landwirtschaft ist es nun wichtig, das Wasser in der Landschaft zu halten. Das war ja in Mitteleuropa die Kulturleistung der Zisterzienser, die Landschaft aus und für das Wasser zu gestalten.

Wir müssen heute lernen, die Grund- und Oberwasserströme auf unserem landwirtschaftlichen Betrieb gut zu kennen. Das Wasser ist Träger des Lebens. Es ist das Elixier der Ermöglichung! Die Zisterzienser sind dort hingegangen, wo es steinig, dürr und trocken war, und sie haben das Wasser gebracht. Da ist der Brunnen in der Mitte des Kreuzgangs, der ständig Wasser trägt, ein großartiges Bild.

Die Bodenfruchtbarkeit, von der wir im biologisch-dynamischen Landbau so viel sprechen und auch verstehen, können wir nur halten und steigern, wenn wir die Wasserkreisläufe händeln. Wir werden eine Landwirtschaft entwickeln müssen, die dem noch stärker Rechnung trägt. Da sind wir als Biodynamiker nicht so weit, wie wir sein könnten. Wie lässt sich Verdunstung reduzieren, wie effizienter bewässern mit Unterflursystemen?

Was bedeutet es für die Züchtung?

Da dürfen wir stolz auf uns sein. Wir haben Getreidesorten, da fragen die konventionell-arbeitenden Landwirte und Landwirtinnen, ob sie die Sorte auch anbauen können. Auf einem Hof, der Sorten des Züchters Peter Kunz anbaut, wunderte sich ein konventionell arbeitender Landwirt, dass bei der hohen Feuchtigkeit der Pilzbefall so tief sei. «Ihr spritzt nicht, aber euer Weizen sieht viel besser aus als unserer! Wir haben einen anderen Ansatz, weil wir Züchtung als Teil von Landwirtschaft verstehen und aus dem Standort heraus entwickeln. Das gibt den Pflanzen Widerstandskraft  –  gegen Trockenheit und Regenfülle.

Biologisch-dynamischer Landbau ist für die Krise entwickelt?

Der Agrarwissenschaftler Felix von Löwenstein bringt es auf den Punkt: «Wir werden uns ökologisch ernähren, weltweit oder gar nicht.» Bei dem Gros der Standorte begrenzt nicht der Mineraldünger den Ertrag, sondern Wasser oder Humus. Da geht es nicht um etwas andere Fruchtfolgen, sondern um ganz Neues bzw. Altes, wie Agroforsting: die Bäume auf den Acker zu holen! Es ist beschämend, wie wenig wir in der Biodynamik in den letzten Jahrzehnten da unternommen haben.

Bäume für Schatten und weniger Wind?

Es gibt wunderbare Versuche mit Bäumen auf dem Acker in Südfrankreich. Zu den Früchten und dem Holz kommt die Humusbildung. Über die Wurzelbildung bringen wir  CO2 in den Boden, in die tieferen Schichten ein. Durch Bewuchs können wir den Regen in die Landschaft holen! Die wunderbare Geschichte von Jean Giono ‹Der Mann, der Bäume pflanzte› über den Schäfer Elzéard Bouffier, der in Südfrankreich ganze Landstriche begrünte, sodass der Regen wieder kam, ist mehr als eine Fiktion. Bäume auf dem Acker bedeuten auch, neben den ein- oder zweijährigen Kulturen einen langsameren Lebensrhythmus von 50 Jahren zu etablieren. Kosmologisch bedeutet eine solche Verzögerung, die Rhythmen der obersonnigen Planeten in die Landwirtschaft zu bringen.

Ähnliches gilt ja für das Wasser: Grundwasserströme und Oberflächenströme sind wie Minuten- und Stundenzeiger einer Uhr  –  zwei Tempi des Lebens! Wir müssen wieder lernen, in den größeren Dimensionen wirklich zu denken. Das Wasser des Rheins braucht zwei Tage von Basel bis Frankfurt. Doch 90 Prozent seines Wassers betreffen Grundwasserströme, die brauchen ein ganz anderes Zeitmaß! Der Klimawandel ruft uns nicht nur räumlich dazu auf, weiter und umfassender zu denken und zu handeln, sondern auch zeitlich.

Erschienen in: Das Goetheanum –

Wochenschrift für Anthroposophie

Nr. 35, 2. Sept. 2022