Antony Gormley

Learning to Be

Ausstellung bis 24.04.2022

Das SCHAUWERK Sindelfingen zeigt eine umfangreiche Einzelausstellung des britischen Bildhauers Antony Gormley (*1950 London). Ausgezeichnet mit dem Turner Prize und dem Praemium Imperiale zählt er zu den wichtigsten Künstlern der Gegenwart. Mit rund 20 Werken aus der Sammlung Schaufler und aus dem Studio des Künstlers – darunter Arbeiten, die bisher nie öffentlich zu sehen waren – ist es die bedeutendste Werkschau Gormleys, die je in Deutschland zu sehen war.

Antony Gormley FEELING MATERIAL I, 2003, Stahl, 205 x 154 x 128 cm, SCHAUWERK Sindelfingen,

Mit Skulpturen in der Natur und auf Hochhausdächern in Metropolen wie Hongkong und New York erlangte Antony Gormley weltweit Aufmerksamkeit. Zentrales Thema seines Schaffens ist der Mensch und seine Beziehung zum Raum. Ausgehend von seinem eigenen Körper, den er als Material, Werkzeug und Motiv nutzt, zeigt er Figuren in unterschiedlichen Zuständen: Enthüllung, Isolation, Herausschälen und Wachstum sind in der Ausstellung zu finden.

Der Künstler lotet die Möglichkeiten des Mediums Skulptur neu aus und verhandelt Fragestellungen nach ihren Funktionen: Kann Skulptur als Werkzeug dienen, um sich mit dem eigenen Körper und verschiedenen Seinszuständen oder dem Körper als Raum auseinanderzusetzen? Wie interagiert Skulptur mit ihrem Umfeld – sei es ein Raum, eine städtische Umgebung oder unser Planet? Kann Skulptur dabei helfen, sich der Erfahrung von Raum und Zeit bewusst zu werden? Für Gormley fungiert der Körper als „Gefäß für Empfindungen“. Der Künstler ist nicht an einem realistischen Abbild oder an der Darstellung einer idealen Form interessiert. Viele seiner Arbeiten erforschen, auf welche Weise der Mensch sich räumlich orientiert und wie er auf Architektur und die gebaute Umwelt reagiert.

Nach der pandemiebedingten Verschiebung des Projekts im letzten Jahr, äußert sich der Künstler nun begeistert über die Umsetzung seit Juni 2021: „Es freut mich, diese Ausstellung in den einzigartigen ehemaligen Industriehallen des SCHAUWERK Sindelfingen zu machen. Die Räume sind großzügig, offen und mit einem natürlichen Licht von oben erfüllt.“

Die Ausstellung umfasst sechs frühe Werke Gormleys, die Ende der 1970er- bis Anfang der 1980er-Jahre entstanden sind. In ihnen verhandelt der Künstler Formen der zeitlichen und räumlichen Ausdehnung.

ONE APPLE (1982) besteht aus insgesamt 53 Äpfeln in jeweils unterschiedlichem Wachstumsstadium, die in Bleigehäuse eingeschlossen und in zunehmender Größe in einer Linie auf dem Boden aufgereiht sind. Die Größen Wachstum und Zeit werden so in eine räumliche Ausdehnung übersetzt. Auch die aus den Scheiben eines Lärchenstamms bestehende Bodenarbeit FLAT TREE (1978) und die Installation ROOM (1980), für die Gormley einen kompletten Satz seiner Kleidung in Streifen schnitt, gehören zu dieser Werkphase.

Antony Gormley CUMULATE (BREATHE II), 2018, Blei, 271 x 125 x 124 cm, Artist Collection

Einige Werke sind umschlossen, andere offener und durchlässiger. Die fortwährende Infragestellung, wo ein Körper beginnt und wo er endet, wird in Skulpturen erkundet, die sich von der Leere zur Masse entwickeln, von der Linie zur Fläche, von der geradlinigen zur organischen Form und Struktur: von der fast gewichtslosen linearen „Zeichnung im Raum“ bei FLARE II (2008) über die dichte Masse von LOSS III (2012) bis zur raumgroßen abgeschlossenen Dunkelheit von HOLD (2016).

Im Zentrum der Shedhalle befinden sich vier Werke aus den Jahren 2014 und 2016, die zu Gormleys späteren architektonischen Arbeiten zählen. Den deutlich am Menschen orientierten Werken sind so stärker abstrahierte, großformatige Arbeiten – wie HOLD (2016) und MURMUR (2014) – gegenübergestellt. Dabei geht es um die Vermittlung zwischen dem individuellen Raum des Körpers und dem kollektiven Raum der Architektur.

Die Präsentation wird von 35 Zeichnungen und mehreren Skizzenbüchern ergänzt, die zum Teil Studien zu den ausgestellten Skulpturen sind. Die einzelnen Blätter variieren in Format und Technik, wobei Gormley naturnahe Werkstoffe wie Kohle, Blut und Leinsamenöl verwendet. „Mit offenen Augen träumen“ ist ein Ausdruck, den Gormley oft benutzt, um im freien Spiel von Phantasie und Material zu einer spontaneren Ausdrucksform zu gelangen, als dies in der Bildhauerei möglich ist.

Sarah Wegenast

SCHAUWERK Sindelfingen

Fotos: Stephen White, London, © Antony Gormley