Wie will ich  heute denken?

Auto, Motorrad, Elektrofahrrad, zu Fuß  –  diese Alternativen habe ich, um von meinem Wohnort die drei Kilometer hinauf zum Goetheanum zu kommen. Vier Arten der Fortbewegung mit vier Geschwindigkeiten, vier verschiedenen Beziehungen zur Umgebung, vier Erlebnisformen, vier Arten des Ankommens und vier unterschiedlichen ökologischen Folgen.

Dabei Nachrichten hören und trocken bleiben gelingt nur im Auto, schnell sein geht gut mit dem Motorrad, flott mit besserem ökologischem Gewissen nur mit dem Elektrorad, nachdenken können nur zu Fuß. Jede Wahl hat etwas, verspricht etwas, kostet etwas  –  was für eine Freiheit! Wie wäre es, wenn ich bei einer gedanklichen Aufgabe, wie dem Verfassen dieser Zeilen hier, ebenso wählen könnte zwischen Graden technischer Unterstützung. Eine Wahl wird frei, wenn ich von meinen Motiven weiß, und sie wird verantwortlich, wenn ich ihre Folgen abzuschätzen vermag. So, wie wir uns über die medizinischen und ökologischen Folgen technisierter Fortbewegung aufklären, so lohnt es sich, die geistigen Folgen technisierten Denkens abzuwägen. Auch das Motiv sollte wie bei der Frage ‹Wie fahre, laufe ich?› bei ‹Wie denke ich?› nicht im Dunkeln bleiben. Dann können wir auch hier wählen, verantwortlich und frei.

Wolfgang Held

Erschienen in: Das Goetheanum –

Wochenschrift für Anthroposophie

Nr. 20, 19. Mai 2023