Sein Weg, jeder findet sich selbst

Ein Interview über die ‹Parsifal›-Produktion am Goetheanum zu Ostern 2023 mit Jasmin Solfaghari, der Lead Director, und Stefan Hasler, Direktor Eurythmie.  Wolfgang Held stellte die Fragen.

Wie sind Sie zum Theater und zur Oper gekommen?

Jasmin Solfaghari: Abgesehen von meiner Tante, die Balletttänzerin in Freiburg war, und einem entfernten Onkel, der ein bekannter Geiger war, gab es in der Familie keine professionellen Künstler.  Eine Verkleidungskiste auf dem Dachboden meines Elternhauses erinnerte mich an die Kindheitsrollen meiner Tante.  Als ich die Kostüme herausnahm, umgab mich der Geruch des Theaters.  Ich hatte auch einen Onkel, der in die Oper verliebt war.  Beruflich geriet er ins Wanken, aber die Oper gab ihm ein Zuhause.  Er lebte im selben Haus wie meine Familie, zeichnete, baute Bühnenbilder und hörte ein breites Spektrum klassischer Musik.  Später spielte ich Flöte in einem Orchester in Freiburg.  Nach dem Abitur studierte ich zunächst Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Germanistik an der Universität Freiburg.  Aber ich hatte immer das Theater im Auge.

Von der Reflexion über das Theater sind wir in die Praxis übergegangen.  In die Praxis der Oper?

Solfaghari: Ja, und doch bin ich beiden treu geblieben.  Was mich an der Oper fasziniert hat, war die Lebendigkeit dieser Kunst.  Jede Sekunde findet etwas Originelles statt, bestehend aus zahlreichen Kunstformen.  Es ist, glaube ich, dieser ganz bestimmte Moment, der reines ›Jetzt‹ ist.  Das ist es, was mich an der Oper so begeistert.

Stefan, wie hat sich dein Fenster zur Oper geöffnet?

Stefan Hasler: In meiner Jugend!  Später habe ich in London Klavier studiert und die Oper immer in mir getragen, denn diese Kunstform vereint alle Kunstformen, vom Schauspiel über das Bühnenbild bis hin zu einer Symbiose aus musikalischer, vokaler und orchestraler Farbigkeit.  Wenn ich auf Reisen bin, schaue ich immer, was abends im Opernhaus der Stadt läuft, in der ich mich gerade befinde, und dort finden Sie mich.

Und jetzt inszenieren Sie ‹Parsifal› am Goetheanum.

Hasler: Ich bin sehr dankbar für die Chance, die wir jetzt haben und bin außerordentlich gespannt, was dabei herauskommt, wenn wir dieses großartige Werk von Wagner hier am Goetheanum auf die Bühne bringen.  Meine Leidenschaft für die Oper ist nicht viel geringer als die für die Eurythmie.

Es gibt einige Improvisationen im Theater.  Die Oper kann das nicht bieten und gleichzeitig passiert in der Oper mehr als in einem Sinfoniekonzert.  Hat die Oper beides – Theater und Sinfonie?

Hasler: In der Oper erzählt man sowohl instrumental als auch gesanglich eine Geschichte.  Das bringt so eine Fülle an Happenings auf die Bühne, die immer wieder aufs Neue bearbeitet werden muss.  Es bringt die Instrumentalisten in den Fluss, bringt sie in das Geschehen, das dann zu diesem musikalischen Ereignis der Oper führt.  Dies sind die Urelemente der Musik.  Ich singe, spiele, tanze und mache Musik.

Solfaghari: Bei Opernaufführungen gibt es auch Improvisation.  Manchmal mehr als uns lieb ist, weil oft einzelne Sänger einspringen müssen. Und dann stehen ein Assistent oder ich wie Verkehrspolizisten am Bühnenrand, um sie bühnentechnisch zu unterstützen.  Es ist fast wie zu Rossinis Zeiten, als man mittwochs Kadenzen improvisierte und die Arie anders sang als freitags.

Hasler: Du bist bei jeder Aufführung dabei, die Dynamik und den Fluss der Bilder anders, neu zu gestalten.  Sie können dies tun, wenn Sie die Partitur in- und auswendig kennen.

Wie sind Sie Wagner zum ersten Mal begegnet?

Solfaghari:  Das ist durch meinen Onkel passiert, der im Freiburger Wagner-Verband war.  Ich war auch Komparse im ‹Rheingold› am dortigen Stadttheater.  Im Regiestudium bei Götz Friedrich lag der Schwerpunkt Anfang der 1980er-Jahre auf seiner Konzeption von Wagners ‹Ring des Nibelungen› an der Deutschen Oper Berlin.  Ich habe dann viel später als Chefregisseur bei Wiederaufnahmen mit Regie bei dieser Arbeit mitgewirkt.  Als Assistenz durfte ich die fabelhafte Berghaus-Inszenierung von ‹Tristan und Isolde› und Günther Krämers Inszenierung des ‹Ring› an der Staatsoper Hamburg kennenlernen und mitgestalten. An der Oper Köln hatte ich die Möglichkeit, ‹Tannhäuser› zu inszenieren, und in Odense bekam ich 2018 – als Aushilfe – meinen eigenen ‹Ring›.

Hasler: Der Reichtum Wagners, diese Seelenlandschaft in der Musik, ist einzigartig.  Ich denke, wer Orchesterfarben liebt, wird irgendwann bei Wagner landen.  Das ist mein Ausgangspunkt, nicht der Inhalt.  Gleichzeitig ist ‹Parsifal› wiederum einzigartig innerhalb von Wagners Schaffen, weil hier die Bühne zum sakralen Fest wird und er zeitlebens mit diesem Werk gerungen hat.  Ihm ging es darum, tiefgreifende Fragen des Lebens sicht- und hörbar zu machen.  Das beschäftigt mich, seit ich mit siebzehn Jahren zum ersten Mal Oper erlebt habe.

Und nun inszenieren Sie ‹Parsifal› an Ostern 2023 am Goetheanum.

Solfaghari: Die Idee kam von Alexander von Glenck, der dieses Projekt mit unserer Produktionsfirma Pamy und unserem Partner, dem Goetheanum, fördert.

Hasler: Ich bin sehr dankbar, dass Alexander von Glenck sich mit all seiner Liebe und Leidenschaft als Musiker, Sänger, Anthroposoph, Produzent und Initiator von ‹Parsifal› engagiert.  Seit 15 Jahren ist er mit der Idee verbunden, ‹Parsifal› am Goetheanum zu inszenieren.  Das gibt diesem Projekt seine Basis!  Für die Eurythmie ist es eine unglaubliche Chance, über die Choreografie einer einzigen Symphonie hinauszugehen, über den ‹Faust› und die Mysteriendramen, wo wir eine lange Tradition eurythmischer Darbietung haben, hier buchstäblich Vollgas zu geben und uns zu fragen: Wie geht das? die spirituelle Kraft des Grals für das Publikum manifestieren?

Welche Ideen hat Ihnen Ihre Zusammenarbeit gebracht?

Solfaghari: Eine Idee entstand zum Beispiel, als Stefan Hasler, Walter Schütze und ich über Requisiten sprachen: Die Eurythmie macht es möglich, auf Requisiten zu verzichten.  So etwas habe ich auch in früheren Produktionen in puncto Abstraktion angestrebt, aber hier bedarf es einer ganz anderen Form und Konsequenz.  Nun müssen wir uns überlegen, wie ein Gral, ein Speer oder ein Schwan nicht nur nicht-bildlich, sondern durch eine Eurythmie erscheinen.  Grundsätzlich gibt es drei Vertretungsebenen.  Wir haben die Eurythmie, das Leistungsniveau der Solisten, und das des Chores.  Hier ist es so, dass der Chor eher eine Art griechischer Chor ist, der reflektiert.  Es braucht eine Haltung, die nicht dupliziert, was auf der Bühne durch die Eurythmie zu sehen ist.  Hier gibt es viel zu lernen und zu erschaffen.

Hasler: Eine generelle Herausforderung für uns ist, der Oper gerecht zu werden und gleichzeitig die Ursprünglichkeit und Besonderheit des Aufführungsortes Goetheanum im Auge zu behalten.  Der Bühnenbildner Walter Schütze hat sich besonders dieser Frage gewidmet: Wie sind die räumlichen Verhältnisse, wie spricht der Bühnenraum und wie können wir Wagners ‹Parsifal› entfalten lassen?  Klaus Suppan ist für das Lichtdesign verantwortlich.  Er ist in der Eurythmie und im Schauspiel zu Hause und erobert nun das Terrain der Oper.  Wir werden auch den Chor von der Galerie singen lassen, damit das Publikum vollständig in die gesamte Klangstruktur eintaucht.  Von dort werden auch echte Glocken läuten.  Unser Ziel ist es, dass das Publikum vollständig in das Geschehen eintaucht.  Das Goetheanum bietet großartige Möglichkeiten für ein solches geistliches Festspiel, wie Wagner es nannte.

Solfaghari: Ich denke auch, dass dieser besondere Ort für diese Produktion sehr inspirierend ist.  Ausgangspunkt war bei Walter Schütze unter anderem die Ästhetik des Schweizer Szenografen Adolph Appia mit seinen zu Cosima Wagners Zeit völlig neuen Raumkonzepten.  Diese Auseinandersetzung, die mit der Eurythmie- und Opernregie in Einklang gebracht werden muss, wird die große Herausforderung dieser Produktion sein.  Am 25./26. März 2023 findet am Goetheanum zudem ein Symposium zum Thema Bühnenbild statt.

Hasler: Klaus Suppan wird jedem der drei Akte der Oper eine eigene Lichthülle geben, sodass sich wie im Bühnenbild ein ganzer Bogen über die sechs Stunden Aufführung spannt.

Wie fangen Sie die mythische Kraft dieser Arbeit ein?  Diese spirituelle Dimension spielt für eine Aufführung am Goetheanum eine besondere Rolle.

Hasler: Jede Figur auf der Bühne folgt einem Weg.  Wir streben danach, dass sich jeder Einzelne im Publikum so mit den Charakteren identifizieren kann, dass die Kraft der Liebe, die Verbindung der einzelnen Akteure zueinander, beim Publikum ankommt.  Hier zählt nicht das historische Bild, sondern was mit den Figuren passiert.

Solfaghari: Fasziniert hat mich eine Skizze zur Uraufführung von ‹Parsifal›.  Darin wird der Chor am Ende als Individuen dargestellt.  Jeder steht für sich!  Das fand ich interessant und deckt sich mit meiner Herangehensweise.  Wie die Seelenprozesse der Bühnenfiguren vom Publikum wahrgenommen werden, ist eine Herausforderung.  Wenn ich auf der Bühne eine große kollektive Harmonie darstelle, dann bedeutet das bei einer Opernregie nicht unbedingt, dass das Publikum Harmonie empfindet, es kann sich sogar abgeschreckt fühlen.  Wenn ich sehe, wie eine Rolle mit sich ringt und ich gleichzeitig harmonische Klänge höre, habe ich das Gefühl, dass die Figur auf dem Weg ist.  Und das kann mich als Zuschauer womöglich mehr berühren als jemanden, der zeigt: «Ich bin im Nirvana, im Elysium und glücklich.»  Aufgabe ist es, Kundrys verstrickten Leidensweg, den Umgang mit Schuld, die Suche nach Erlösung und nicht zuletzt das Erfahren von Empathie überzeugend darzustellen.

Übersetzung 

Christian von Arnim

Erschienen in: Das Goetheanum –

Wochenschrift für Anthroposophie Nr. 47, 25. November 2023