Peru

Abschluss und Perspektive

Anfang dieses Jahres konnte nach fünf Jahren die erste berufsbegleitende Lehrerweiterbildung für Waldorfpädagogik in Peru abgeschlossen werden, durchgeführt von Pro Humanus. Der 2004 gegründete Verein unterstützt vorwiegend Initiativen in benachteiligten Regionen des Landes in den Bereichen Kultur, Erziehung, Bildung und Gesundheit. Über die Lehrerausbildung berichtet uns die Initiatorin des Vereins Bettina Vielmetter.

Lehrerbildung im Präsenzseminar, Peru

Während des lateinamerikanischen Waldorf lehrerkongresses in Brasilien im Jahre 2012 nahm eine große Gruppe Lehrerinnen und Lehrer der verschiedenen Waldorfeinrichtungen Perus teil, einige, ohne sich vorher je begegnet zu sein. Diese Tatsache rüttelte uns wach und es fiel die Entscheidung, einen neuen Versuch der kontinuierlichen Zusammenarbeit zu wagen.

Es folgten Organisationstreffen der lokalen Impulsträger aus Waldorfpädagogik und Anthroposophischer Medizin in enger Zusammenarbeit mit der pädagogischen und der medizinischen Sektion am Goetheanum, und nach jährlichen pädagogischen Arbeitstreffen entstand aus dieser Initiative 2016 die fünfjährige, berufsbegleitende Lehrerweiterbildung, die Especialización en Pedagogía Waldorf en el Perú. Sechzig Teilnehmende aus den verschiedenen Waldorfeinrichtungen, aber auch aus Staats- und Privatschulen Limas, des Landesinnern sowie aus Bolivien, Kolumbien, Ecuador, Cuba und Spanien schrieben sich ein.

Die Dozentinnen und Dozenten kamen hauptsächlich aus Peru sowie aus Kolumbien, Spanien, der Schweiz und aus Deutschland. Einige von ihnen begleiteten den Ausbildungsprozess in Form von zwei einwöchigen Modulen pro Jahr, einem Wochenende pro Monat und dem wöchentlichen Textstudium. Ab dem dritten Studien-Jahr engagierten sich einige der Studierende als temporäre Dozent:innen im künstlerischen wie im methodisch-didaktischen Bereich.

In Peru beginnt das Schuljahr jeweils im März. Nach der langen Sommerpause seit Dezember des Vorjahres hatten die Kinder 2020 gerade mal einen Tag die Freude, ihren MitschülerInnen und LehrerInnen zu begegnen, dann war gänzlich Schluss mit dem Präsenzunterricht – bis heute. Eine Ausnahme bildeten während einer kurzen Phase gegen Jahresende gelegentliche Aktivitäten in Kleinstgruppen in Parks. Ähnlich erging es uns mit der Especialización: Im Februar konnten wir mit einem ersten einwöchigen Intensivmodul noch das fünfte Studienjahr in Präsenz durchführen und Anfang März fand noch ein letztes Mal unser Textstudium in den Räumlichkeiten der Waldorfschule Lima statt.

Nach einer ersten chaotischen Phase des Suchens nach halbwegs gangbaren Lösungen für den Fernunterricht gelang es sowohl in den Schulen als auch in der Weiterbildung nach und nach eine neuartige, der Situation gemäße Flexibilität und Kreativität für die pädagogische Arbeit zu entwickeln. Sofern es die Eltern einrichten konnten, begleiteten sie in enger Zusammenarbeit mit den Betreuungslehrerinnen und -lehrern ihre Kinder. Es gab nicht wenige, die ausdrückten: „Jetzt erst wird mir so richtig klar, was ein engagierter Lehrer leistet und worum es eigentlich in der Schule geht, wenn man das Kind in seiner Entwicklung wirklich zu fördern sucht.“

In der Lehrerweiterbildung konnten wir uns, neben der Vertiefung der zu bearbeitenden Themen, über einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch gegenseitig begleiten und stärken. Je mehr der Fernunterricht sozial distanziert und niemals dauerhafter Ersatz für direkte menschliche Beziehung und Zusammenarbeit sein kann, umso wertvoller ist es schließlich zu erkennen, dass die aktuelle Zeitlage ein zukunftsweisendes Potenzial in sich birgt, auch für einen Neugriff der Waldorfpädagogik – nach den ersten 100 Jahren ihres Bestehens. Vielleicht kommen wir gerade durch die schwierigen äußeren Umstände mehr an das Wesentliche dieser Pädagogik heran und können sie von da aus neu zu gestalten versuchen.

Viktor Frankl wusste es – aus tiefster eigener Erfahrung – unübertrefflich auszudrücken: „Die letzte der menschlichen Freiheiten besteht in der Wahl der Einstellung zu den Dingen.“ Aus dem Verlust von Beziehung, etwa wegen des Corona-bedingten social distancing, kann täglich ein neues Miteinander bewusster gestaltet werden. In diesem Sinne gibt es auch nicht den gut ausgebildeten Waldorflehrer, es gibt ihn nur in ständiger Weiter- und Selbstausbildung – jeden Tag neu. Das war zunehmend auch die Grundstimmung der Lehrerinnen und Lehrer der Especialización in diesem herausfordernden letzten Ausbildungsjahr, und besonders während des einwöchigen Abschlussmoduls in der ersten Februarwoche 2021. Sie drückten sie so aus:

„Ich bin nach diesen fünf Jahren ein anderer Mensch, habe mir aus den pädagogischen Grundlagen heraus verschiedenste Fähigkeiten angeeignet, vor allem aber habe ich an mir selbst gearbeitet.“

„Durch das kontinuierliche wöchentliche Textstudium mit einer konkreten, erübten Methode, habe ich mein Denken von Grund auf zu schulen begonnen und eine größere Selbständigkeit entwickelt.“

„Besonders im letzten Jahr habe ich durch die Jahresarbeit gelernt, was Forschen bedeuten kann, und dass Wissenschaftlichkeit der Pädagogik nicht widersprüchlich gegenübersteht.“

„Es ist ein Glücksgefühl, ringend an einer Fragestellung zu arbeiten und dann gegen Ende zu erleben, wie sich plötzlich alle Themen zu einem Ganzen zusammenfügen – gerade in einer Zeit der Tendenz zu Spaltung auf allen Ebenen.“

In der Abschlussfeier am letzten Tag des Moduls konnten wir als Trägerkreis kein größeres Geschenk von den angehenden WaldorflehrerInnen bekommen als die Mitteilung ihres Entschlusses: Wir wollen uns „nach unseren ersten fünf Ausbildungsjahren” (wie es eine von ihnen es ausdrückte) kontinuierlich und in Zusammenarbeit mit euch weiterbilden. Dazu schlugen sie uns bereits ein konkretes Projekt mit klarer Arbeitsstruktur für 2021 vor. Außerdem drückten sie die Notwendigkeit einer erneuten Ausbildung aus, und eine Kerngruppe bot dafür ihre Mithilfe an. Auf diese Weise war der 6. Februar 2021 nicht nur Abschluss, sondern hoffnungsvoller Neubeginn zugleich. Für den Aufbau einer neuen Ausbildung in 2022 werden wir im Laufe dieses Jahres an der Erweiterung unseres Dozententeams arbeiten, einschließlich der „Ausbildung für Ausbildende“ – integriert in den lokalen, regionalen, kontinentalen und weltweiten Kontext der Waldorfpädagogik mit ihren neuen Herausforderungen.

Während der vergangenen fünf Jahre unterstützten die Freunde der Erziehungskunst diese Fortbildung jährlich mit einem Betrag. Dafür sind wir sehr dankbar.

Bettina Vielmetter,

Pro Humanus

Mehr zur Weiterbildung unter

www.prohumanus.org

Erschienen in: Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiner e.V., Waldorf Weltweit, Frühjahr, Sommer 2021

Foto: Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiner e.V.