Ich bin eigentlich kein Müsli-Fan

Daniel arbeitet seit zwei Jahren bei Heyho. Der Müsli-Hersteller hat die Mission echte Arbeitsplätze für Menschen zu schaffen, deren Lebenslauf nicht immer gerade verlief. Ein Erfahrungsbericht.

Ich bin Daniel und mache Müsli bei Heyho. 1997 bin ich für eine Ausbildung als Tierpfleger aus der ehemaligen DDR in die Lüneburger Heide gezogen. In einem Wildtierpark habe ich meinen Gesellenbrief bekommen. Danach hatte ich verschiedene Jobs: Maurer, Koch, Kellner, alles Mögliche.

Damals habe ich in einer Wohngemeinschaft gelebt. Aus heutiger Sicht wurde ich sagen, dass ich eine andere Umgebung gebraucht hatte. Alkohol und andere Drogen spielten eine Rolle. Als sich die WG auflöste, war ich plötzlich obdachlos. Dreieinhalb Jahre habe ich auf der Straße verbracht. In einer Wohnungslosenherberge habe ich immer mal wieder ein Bett belegt. Dort soll Menschen geholfen werden, wieder den Einstieg in alltägliche Strukturen zu schaffen. Das ist aber nicht so einfach.

Daniel (rechts) war drei Jahre obdachlos und sieht heute wieder Sinn im Leben. Heyho beschäftigt 25 Mitarbeiter:innen und legt Wert auf Gemeinschaft. Täglich wird gekocht und gemeinsam zu Mittag gegessen. Darüber hinaus ist Heyho in ein Forschungsprojekt mit der Leuphana Universität Lüneburg zu den Erfolgsfaktoren sozialer Transformation involviert.
Fotos: Heyho

Durch Konsum, Freundeskreis und Job-Absagen hatte ich ab einem gewissen Punkt eine „Leck mich am Arsch“-Einstellung. Irgendwann lernte ich Stefan, einen der drei Heyho-Gründer kennen. Er leitete damals auch noch die Herberge, in der ich untergekommen war. Er fragte mich: „Hast du nicht Lust hier reinzuschnuppern?“ Mit „hier“ meinte er die Müsli-Produktion von Heyho.

Bei meinen Versuchen, Anschluss zu finden, war ich immer wieder gescheitert. Ich habe beispielsweise verschlafen und wurde gekündigt. Ein Chef sagte mal: „Du bist ein super Mitarbeiter, aber aus Prinzip muss ich dich feuern.“ Da war nicht Thema, warum mir das passiert ist. Es kam nur darauf an, ob ich funktioniere. Die Mentalität war: „Jeder Mensch ist ersetzbar.“

Als ich bei Heyho angefangen habe, waren die Probleme nicht einfach weg. Aber mir wurde auf Augenhöhe begegnet. Ich habe lange gebraucht, um herauszufinden, wer Geschäftsführer und wer Aushilfe ist. Meine Wohnsituation hat sich inzwischen geändert. Eine Teamkollegin meinte, ich solle mein Gesuch über die Heyho-Firmenseite bei Facebook hochladen. Der Mietspiegel hier ist hoch und ich hatte bis dahin kein Gluck, etwas Bezahlbares zu finden. Über die sozialen Medien wurde die Anzeige vielfach geteilt und ich habe letztlich eine Wohnung gefunden.

Was ich am allerliebsten mache? Jeden Tag mein Rudel (Anm. d. Red.: Daniels Bezeichnung für sein Team) wiedersehen. Das motiviert mich. Auch hinter dem Produkt zu stehen, ist für mich eine tolle Erfahrung. Ich bin eigentlich kein Müsli-Fan. Das hat sich mittlerweile geändert. „Power to the People“ heißt für mich, dass ich täglich für die erste Mahlzeit vieler Menschen mitverantwortlich bin. Ist zwar „nur Müsli“, aber gleichzeitig ist es der Start in den Tag. Das bedeutet mir etwas. Ich sag immer „Ich verpacke Glück in Glaser“.

Klar gibt’s hier auch schwierige Situationen. Wenn doch mal jemand zu spat kommt oder abends um die Häuser zieht und deshalb nicht fit ist. Aber dann setzen wir uns zusammen und sprechen darüber. Warum es für das Unternehmen ein Problem ist. Aber auch, wie es einem selbst gerade geht. Was die Stunden angeht, die werden aufgeschrieben und nachgearbeitet. Das gefallt mir auch gut: Dass ich die Möglichkeit habe, Fehler auszubügeln.

In Maschinen wird investiert. Warum nicht auch in Menschen?

Ich wünsche mir, dass andere Betriebe einen längeren Atem mit ihren Mitarbeitern oder Bewerbern entwickeln. Es gibt einfach Situationen, in denen Menschen mehr Unterstützung brauchen. Viele Unternehmen sehen nicht ein, in eine Person zu investieren, die nicht sofort „funktioniert“. Ich finde das zu kurz gedacht. In Maschinen wird beispielsweise investiert, die rechnen sich auch nicht sofort. Dadurch geht viel Potenzial verloren, glaube ich. für die Unternehmen, die fähige Leute haben konnten. Aber auch für Menschen, die sich verloren fühlen, eigentlich aber gebraucht werden. Ich wurde denen gern sagen: „Lasst die Leute nicht hängen. Lasst sie probieren.“

Ich sag immer: Gemeinsam sind wir stark. Nach über zwei Jahren bei Heyho kann ich sagen: Hier bin ich und stehe voll hinter dem Unternehmen. Ich tausche mich gern mit Kollegen aus, die hier nebenbei arbeiten und studieren. Hore mir an, was die so vorhaben. Dadurch setze ich mir selbst auch wieder eigene Ziele. Überhaupt: Eigenes Geld verdienen – das schmeckt einfach anders. Ich gehe einkaufen, plane Urlaub. Bin wieder Teil von etwas. Das macht Spaß.

Daniel / Heyho

Heyho bewegt! Die Geschichte der sozialen Müslirösterei im Videoporträt:

gls.de/heyho

Erschienen in: Bankspiegel 2/23

Die Verwendung des Artikels

erfolgt nach Creative Commons 4.0

(creativecommons.org)