Aggression – Kinder, die aus dem Rahmen fallen

Seminar für Waldorfpädagogik, Wochenende 17.-19.10.2021

In Gedenken an Henning Köhler und in seinem Namen versucht das Waldorfseminar Köln diese Fortbildung fortzuführen und mit seiner Sicht- und Denkweise, Impulse zu setzen, um handauflegend und heilend wirken zu können, auf die Kinder, die aus dem Rahmen fallen.

An diesem Wochenende war Dr. Manfred Schulze, Pädagoge und Landwirt, wohnhaft und arbeitend auf dem Hof Hauser in Wolfhagen, als Dozent zu Gast im Seminar. Er sprach über den Ursprung und den Umgang mit Aggressionen in der Kindheit. Er legte nahe, dass Aggression vor allem ein männliches Thema ist, da der Großteil der aggressiven Kinder, Jugendlichen und später der Straftäter, männlichen Geschlechts ist. Er begründete dies mit dem Ungleichgewicht von Schutz und Ermutigung, das vor allem Jungen in der Kindheit erfahren, da sie in den meisten Fällen zuerst von Ihrer Mutter, dann von der Kindergärtnerin und anschließend von der Lehrerin erzogen werden. Hier bleiben die Kinder und vor allem die Jungen oft eingeengt, zu sehr dem weiblichen Schutzbedürfnis unterworfen und es kann keine freie Willensbildung stattfinden. Dies aber sollte das Ziel der Erziehung und der Umgang mit Aggressionen sein: Raum schaffen, in dem Destruktivität in konstruktive Kreativität umgewandelt werden kann. Dr. Manfred Schulze vertritt die Ansicht, dass freie Willensbildung nur durch die Zurückeroberung der Hand, also des Handwerks, der Kunst und des Landbaus möglich ist. Ein sinnerfülltes und zukunftsorientiertes Arbeiten, von Anfang an und dem Alter entsprechend, schafft die Grundlage für einen freien Willen und daraus kann Kreativität entstehen und nicht der Abweg in die Aggressivität. Den Kindern muss entgegen unseres aktuellen Bildungssystems, das noch immer von aggressiven Machtstrukturen des Militärs geprägt ist, die Möglichkeit gegeben werden, einen Raum für sich zu finden, Naturerfahrungen zu machen, mit den Händen und sinnerfüllt zu arbeiten, um einen Zusammenhang herstellen zu können zwischen den Ab- und Kreisläufen unserer Erde.

Abgerundet wurde das Wochenende mit einem künstlerischen Teil, den die Dipl. Bildhauerin Frauke Kunze durchführte: einer Wahrnehmungsübung, bei der blind ein Abbild der menschlichen Kontur gezeichnet und dessen Rahmen ausgeschnitten wurde. Anschließend gab es eine Gruppenarbeit, bei der den eigenen Aggressionen künstlerisch freien Lauf gelassen werden durfte. Zum Schluss wurde der anfangs geschnittene Rahmen aus Papier mit einem neuen farbenprächtigen Männchen gefüllt, das nun zwar andere Qualitäten aufwies, aber immer noch in den Rahmen passte.

In diesem Sinne sind alle dazu aufgerufen, den Rahmen nicht allzu eng zu stecken, ihn einmal um zu interpretieren oder ggf. auch einmal ganz fallen zu lassen.

Juliane Boddenberg