„Wo die Äpfel schmecken, kann es um den Baum nicht schlecht bestellt sein.“

Gerhard Stocker arbeitete als Sozialtherapeut und Dozent für angehende Waldorflehrer*innen. Seit der vergangenen Mitgliederversammlung ist er neues Vorstandsmitglied der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland (AGiD). Im Kurzinterview erklärt er, was ihn zu diesem Schritt bewogen hat und welche Perspektiven er für die Zukunft der AGiD sieht.

Sebastian Knust: Lieber Gerhard, nach einer erfolgreichen Berufslaufbahn als Dozent für angehende Waldorflehrer*innen hast Du jetzt eine neue Aufgabe angenommen: die Vorstandstätigkeit bei der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland. Aus welchen Motiven heraus bist Du diesen Schritt gegangen?

Foto: Gerhard-Stocker

Gerhard Stocker: 1987 bin ich Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft geworden. Ich war damals Sozialtherapeut in einer kleinen Lebensgemeinschaft in freier Trägerschaft. Die Gesichtspunkte für eine förderliche Lebens- und Arbeitsgestaltung holten wir aus der Anthroposophie. Wir hatten Erfolg mit unserer Arbeit! Und wo die Äpfel schmecken, kann es um den Baum nicht schlecht bestellt sein. Also „schloss ich mich als Teil dem Ganzen an“, der Anthroposophischen Gesellschaft. Zwei Jahre später wurde ich Mitglied der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft, denn inzwischen war ich auf Menschen gestoßen, die in der Sozialwissenschaftlichen Sektion am Goetheanum in Dornach aktiv waren. Wir gründeten die IVAES (Internationale Vereinigung Anthroposophischer Einrichtungen für Suchttherapie) – damals noch mit dem bekannten holländischen Arzt, Unternehmensentwickler und Anthroposophen Bernard Lievegoed – und führten am Goetheanum jährliche Tagungen durch.

Darauf folgte die Zeit als Waldorflehrer. In diesem Kollegium hatte seinerzeit die Zweigarbeit eine beachtenswerte Stellung. Ich empfand sie tatsächlich als eine Auffrischung geistiger Ressourcen. Es fanden auch überregionale Treffen der Pädagogischen Sektion in Frankfurt statt. Dass diese Aktivitäten im Rahmen der Anthroposophischen Gesellschaft stattfanden, erschien mir fast unhinterfragt als Selbstverständlichkeit. Später, als Dozent am Waldorfinstitut Witten, wurde ich gebeten, an den Aktivitäten des Initiativkreises der Pädagogischen Sektion in Deutschland teilzunehmen.

Kurzum, die Tatsache und Berechtigung einer bis auf die Ebene des Rechtlichen und Wirtschaftlichen „hinunterreichenden“ Körperschaft der anthroposophischen Bewegung war von mir bis in die persönlichen Aktivitäten hinein voll und ganz akzeptiert. Dennoch bin ich mir bewusst, dass das „real existierende“ Verhältnis von „Gesellschaft“ und „Bewegung“ noch viel zu viel offenlässt. Und gerade deshalb bin ich willens, mich an der Entwicklung weiterer Schritte nach Kräften zu beteiligen.

SK: Welche Aufgaben und Schwerpunkte siehst Du bei Deiner zukünftigen Tätigkeit bei der AGiD?

GS: In den letzten zwei Jahren konnte ich bereits an den erweiterten Treffen des Arbeitskollegiums teilnehmen. Diese hatten den Fokus auf die Themen „Freie Hochschule für Geisteswissenschaft“ und „Öffentlichkeitsarbeit“ gerichtet. Daneben eröffnen sich viele, viele andere Aufgaben. Also werde ich zunächst darauf schauen, wo ich unterstützend aktiv werden kann. Doch vorab kann ich sagen, dass mich das Thema Freie Hochschule für Geisteswissenschaft sehr beschäftigt. Seit dem Jahr 2000 bin ich „Vermittler“ in der Hochschularbeit und nehme natürlich die unterschiedlichen Tendenzen und Entwicklungen „hautnah“ wahr.

Nach der einwöchigen Klausur des Arbeitskollegiums, in der wir uns mit der Aufteilung und Schwerpunktbildung unserer Aufgaben beschäftigen werden, und im Laufe der nächsten Zeit werde ich wohl diese Frage etwas detaillierter beantworten können.

SK: Wo steht die Anthroposophische Gesellschaft in Deutschland heute und wohin sollte sie sich in den nächsten Jahren entwickeln?

GS: Was unter den Nägeln brennt, ist das Thema Mitgliedschaft. Werden wir weiterhin eine „Mitgliedergesellschaft“ sein und bleiben? Wie können wir die AGiD gestalten, dass sie auch in Zukunft Begegnung zwischen den Menschen, umfassendere Gemeinschaftsbildung und nicht zuletzt Teilhabe an allgemeinen, öffentlichen Prozessen ermöglichen und fördern kann?

Natürlich sehe ich auch hin zu einem Horizont weit entfernter Ziele. Nach dorthin Richtungen anzuvisieren, bringt für das Hier und Jetzt Orientierung, wenn auch viel Geduld erforderlich sein wird. Ich denke, dass wir Fahrt aufnehmen müssen in Richtung des Selbstverständnisses einer Weltgesellschaft. „Gesellschaft wollen!“ scheint mir das passende Signal für einen Aufbruch zu sein.

Sebastian Knust

Gerhard Stocker | geboren 1957, Kindheit südlich der Donau in Ichenhausen, einem kleinen Städtchen an der Günz; zwei Semester Philosophie in Augsburg; biologisch-dynamischer Gärtner

(= lebenspraktische Philosophie) in Aichtal bei Stuttgart, Willingshausen bei Marburg und Witten; seit 2009 im Kollegium des Arbeitszentrums NRW, Bochum, aktuell Mitarbeit im Leitungskreis des Arbeitszentrums, in der Geschäftsführung von Fakt21 und Vorstandsmitglied der AGiD.

Foto: Anthroposophische Gesellschaft Deutschland