Krieg und Frieden

Krieg ist inakzeptabel!

Gerald Häfner: Neutralität und Blocküberwindung als Perspektive für die Ukraine und für Europa

Mit Erschütterung äußerte sich Gerald Häfner, Leiter der Sektion für Sozialwissenschaften am Goetheanum, über den «russischen Überfall» auf die Ukraine. Wenn die jetzt begonnenen kriegerischen Auseinandersetzungen nicht sofort gestoppt würden, sei millionenfaches menschliches Leid die Folge. Krieg dürfe in Europa kein Mittel der Politik mehr sein.

Gerald Häfner sieht im zwischen Ost und West veranstalteten Tauziehen um die Ukraine die Folge einer kollektiven Bewusstseinslähmung: «Krisen sind normal. Nicht normal aber ist, auf die Krisen von heute mit den Antworten von gestern zu reagieren. Die Spannungen in der und um die Ukraine dürfen kein Anlass sein, in das überholte Blockdenken vergangener Jahrzehnte zurückzufallen, sondern ein Anlass, genau dieses endlich zu überwinden.»

Die Entwicklung der letzten Wochen habe zu einer ausweglosen Engführung des Denkens und der Politik geführt. Alte Reflexe und Rivalitäten bestimmten das Handeln. Gerald Häfner: «Die überkommene Logik von Schwarz oder Weiß, Nato oder Russland ist falsch. Die Ukraine braucht einen Weg, der nicht in eine kriegerische Vergangenheit, sondern in eine friedliche Zukunft führt: aktive Neutralität, Selbstbestimmung und kollegiale Zusammenarbeit jenseits der Militärblöcke.» Das könnte auch innerhalb der Ukraine die Spannungen lösen: kulturelle Autonomie der verschiedenen Sprach- und Volksgruppen, Rechtsgleichheit und friedliche Zusammenarbeit über Grenzen hinweg.

Kein Land hat so lange und gute Erfahrungen mit Neutralität und politischer Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger wie die Schweiz. Gerald Häfner sähe eine Möglichkeit, wenn sich die Schweizer Regierung umgehend als ehrlicher und neutraler Vermittler mit einem entsprechenden Vorschlag an alle kämpfenden Parteien richten würde. «Auch wenn sich der Erfolg nicht sicher vorhersagen lässt, wäre eine solche Initiative ein Lichtblick und ein Zeichen der Hoffnung in diesen sich verdüsternden Zeite», so Gerald Häfner weiter.

Goetheanum/ Dornach

Ansprechpartner Gerald Häfner

Links

Video Stellungnahme Gerald Häfner zur Lage rund um die Ukraine

Interview / Podcast Gerald Häfner über die Lage rund um die Ukraine (Wochenschrift ‹Das Goetheanum›)

Web Sektion für Sozialwissenschaften am Goetheanum

Die Invasion der Ukraine durch die russische Armee markiert eine Zeitenwende in Europa

Der Kriegsbeginn in der Ukraine schockiert die Welt. Für Konfliktforscher Professor Dr. Nils-Christian Bormann von der Universität Witten/Herdecke ist die Invasion der vorläufige Höhepunkt eines aggressiven Nationalismus durch den russischen Präsidenten.

„Die Invasion der Ukraine durch die russische Armee markiert eine Zeitenwende in Europa. Sie stellt den ersten Angriffskrieg in Europa seit dem 2. Weltkrieg dar. Russland verfolgt spätestens seit dem Einmarsch in Georgien 2008 Außenpolitik wieder mit militärischen Mitteln. Der Einmarsch heute wird die russischen Militärinterventionen der Vergangenheit in Bezug auf das menschliche Leid und die Zerstörung, die sie anrichten wird, jedoch in den Schatten stellen”, so Nils-Christian Bormann, Konfliktforscher und Professor für International Political Studies an der Fakultät für Wirtschaft und Gesellschaft an der Universität Witten/Herdecke.

„Putins Angriffskrieg ist der vorläufige Höhepunkt eines aggressiven Nationalismus, der im vergangenen Jahrzehnt wieder an Bedeutung gewonnen hat. Dieser Nationalismus spricht anderen Volksgruppen und Ländern, wie jetzt der Ukraine das Existenzrecht ab und führt unweigerlich zu politischer Gewalt. Putin wählt bewusst historische Zeitpunkte, die mit der größten territorialen Ausbreitung Russlands zusammenfallen, um seine Invasion zu rechtfertigen. Der erkennbare Wille zur Rückkehr in sogenannte goldene Zeitalter führt jedoch direkt zu Tod und Zerstörung.”

„Vor diesem Hintergrund müssen die politischen Entscheidungsträger Deutschlands und Europas nicht nur sofortige Sanktionen verhängen, sondern auch die außenpolitischen Grundsätze der letzten 30 Jahre kritisch hinterfragen. Zu Diplomatie und Verhandlungen gehören immer zwei Parteien.“

Universität Witten/Herdecke

Ein Krieg könnte Millionen Ukrainer in die Flucht treiben

Die Bundesregierung kündigt für diesen Fall humanitäre Hilfen an – vor allem für die Nachbarländer der Ukraine.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser rechnet im Fall eines Kriegs in der Ukraine mit starken Fluchtbewegungen in die Nachbarländer. Deshalb bereite sich Deutschland derzeit vor allem darauf vor, den Ländern um die Ukraine mit humanitärer Unterstützung zu helfen, sagte die SPD-Politikerin in Wien am Rande einer europäischen Migrationskonferenz. „Und wenn Flüchtlinge in unser Land kommen, denen natürlich auch“, fügte sie hinzu.

EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hatte am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz das direkt an die Ukraine grenzende Polen als vermutlich wichtigstes Fluchtziel genannt, daneben aber auch Italien, Deutschland und Frankreich.

Wir beobachten die Lage sehr genau

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, sieht Deutschland gerüstet für einen möglichen Flüchtlingszuzug infolge eines Kriegs in der Ukraine. „Wir beobachten die Lage sehr genau, sind wachsam und auf alles vorbereitet“, sagte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Caritas warnt vor einer humanitären Krise

Die katholische Hilfsorganisation Caritas international warnt vor einer humanitären Krise im Russland-Ukraine-Konflikt. Schon jetzt gebe es viele Verlierer, etwa die rund 1,5 Millionen Menschen auf beiden Seiten der Grenze, die in den vergangenen acht Jahren wegen der Kämpfe ihre Heimat verlassen mussten. Im Falle eines „heißen Kriegs“ sei mit Millionen weiteren Flüchtlingen zu rechnen.

(Quelle: ZEIT ONLINE, dpa)