In Turnschuhen

«Komm, wir gehen irgendwohin, wo man nicht perfekt sein muss!» «Wo soll das sein?» «Lass uns suchen gehen.» So besprechen sich zwei Jugendliche im Film ‹Jugend ohne Gott›. 2017 kam die preisgekrönte Literaturverfilmung des gleichnamigen Romans von Ödön von Horváth in die Kinos. Der Dialog beschreibt den seelischen Druck, unter dem Jugendliche in einer auf Perfektion ausgerichteten Kultur aufwachsen. Gleichzeitig gibt es das Gegenteil: Alles scheint möglich: ein Knopfdruck bis zu allem Wissen, ein Ticket bis zum fernsten Winkel. Die sozialen Medien steigern die Pole. Influencer und Influencerinnen erklären, was schön und gut ist, und Youtube-Coachs predigen, sich selber treu zu sein. Das ist ein Zustand in der Schwebe, ein Zustand, den die Schuhe unserer Zeit gut spiegeln: der Turnschuh. Sneakers, wie sie neudeutsch heißen, sind biegsam und leicht, damit sie die Begegnung mit dem Boden dämpfen und zum nächsten Schritt einladen. Turnschuhe sind für die Schwebe.

Wolfgang Held

Erschienen in: Das Goetheanum – Wochenschrift für Anthroposophie Nr. 7, 16. Februar 2024