Geistiges Impfen

Die Geschichte stammt von Paul Watzlawik und ließ das Buch, in dem er die Begebenheit ausführt, zum Bestseller werden: Ein Mann will ein Bild aufhängen, aber der Hammer ist weg.

Also geht er zum Nachbarn, um ihn nach dem Werkzeug zu fragen. Doch wie, so denkt er bei sich, wenn der mir seinem Hammer gar nicht rausrückt, mich mit Ausflüchten abspeist oder nicht einmal die Türe öffnet? Der Mann ohne Hammer bereitet sich auf mögliche unangenehme Reaktionen vor. Er ‹impft› sich, um für den Fall einer Attacke vorbereitet zu sein. Bis er Schritte hört, dauert es und so hat der Mann vor der Türe alle Zeit, sich seelisch breit zu impfen, um vor nichts und niemandem überrascht zu sein. Da geht die Türe auf, ein fragender Blick, dem der Bittsteller entgegenwirft: «Behalten Sie Ihren blöden Hammer!»

Was ist passiert? Der so übermäßig auf alle Gemeinheiten Trainierte ist für das, was wirklich geschieht, blind und schlägt um sich. Auch hier eine Frage der individuellen Impfentscheidung: Es lohnt sich für Diskussionen und noch mehr für Verhandlungen, die Pfeile, die ein Gegenüber im Köcher hat, zu kennen und parieren zu können. Klug, wer hier vorbereitet ist, sich geistig geimpft hat. Genauso lohnt es sich, so offen, so verletzlich zu sein, wie es der eigene Mut erlaubt, wenn man um einen Hammer, einen Rat oder etwas Liebe bittet.

Wolfgang Held

Aus: Paul Watzlawik, Anleitung zum Unglücklichsein, München 2012.

Erschienen in: Das Goetheanum – Wochenschrift für Anthroposophie, Nr. 18, 30. April 2021