Frühlings Erwachen

im Herbst an der Freien Waldorfschule Oberberg

Ein Rückblick von Anja Weiß

Die Zukunft denken, wie Milchreis mit Zucker und Zimt. Das können nur die verwegensten Träumer im wilhelminischen Kaiserreich, das den Entstehungskontext für die Theatervorlage des diesjährigen 12.Klassspiels an der Freien Waldorfschule Oberberg lieferte. 20 Oberstufen-Schüler*innen haben die gesamten Herbstferien genutzt, um unter der Leitung der Regisseurin Melanie Monyer in intensivster Probenarbeit das Stück „Frühlings Erwachen“ von Frank Wedekind im Klassenensemble auf die Bühne zu bringen.

„Kommt der Storch eigentlich durch den Schornstein oder durchs Fenster?“ Diese leidenschaftlich-naive Frage der Figur Wendla, einer tragischen 14-jährigen Schülerin, zeigt deutlich, welche Erziehungspolitik herrschte, als das Stück 1906 uraufgeführt wurde. Ihre Mutter weicht aus und versucht das Mädchen klein zu halten. Aber Wendla wird unverhofft schwanger, ganz ohne Zutun des Storches natürlich. Und als sie ihre Mutter ganz besonders braucht, nimmt diese um des guten Rufes Willen den Tod der eigenen Tochter in Kauf.

Kostüme, Bühnenbild und Plakat wurden aufwändig selbst kreiert und die Klasse ist nach vielen Corona-bedingten Rückschlägen zu einem eingeschworenen Theaterensemble zusammen gewachsen. Als 12.Klässler sind diese Jugendlichen den größten Irrungen und Wirrungen der Teenagerzeit mittlerweile längst entkommen. Dennoch haben die jungen Schauspieler*innen sich genau dieser Gruppe der Gesellschaft angenommen, die es in den vergangenen bald 2 Jahren besonders schwierig hatte: Jugendliche in ihrer Pubertät. Teenager brauchen das Miteinander sehr, das echte Miteinander – ehrliche, mutige und wahrhaftig interessierte Mitmenschen. Denn die Pubertät ist eben kein Kinderspiel – nicht damals 1906 und auch nicht heute 2021.

In den drei öffentlichen Aufführungen zwischen Halloween und Allerheiligen haben die jungen Erwachsenen das Stück in einer sehr ergreifenden Version gespielt und ein begeistertes Publikum mit einem echten kulturellen Happen versorgt. Danke für ein hell leuchtendes „Frühlings Erwachen“ in diesen dunklen Novembertagen!