Bericht zur Theatervorstellung „Verbrennungen“ der 12. Klasse der FWS Bergisch Gladbach am 04. Mai 2024
Die zwölfte Klasse hätte es sich einfach machen können. Eine Komödie. Vielleicht auch eine Liebesgeschichte. Irgendetwas Heiteres und Unbeschwerliches, ein paar Stunden Realitätsflucht in unseren krisengeplagten Zeiten. Die Schülerinnen und Schüler der Waldorfschule Bergisch Gladbach haben sich aber für eine echte Herausforderung entschieden und für ihr Klassenspiel das Stück „Verbrennungen“ von Wajdi Mouawad gewählt.
Als sich die Aula der Schule am Abend der Premierenvorstellung am 04. Mai 2024 langsam füllt, ist den meisten Zuschauern wohl bewusst, dass auch ihnen einiges abverlangt wird. Vielleicht, weil sie das bekannte Werk bereits einmal im Theater gesehen haben, möglicherweise auch den Film von Dune-Regisseur Dennis Villeneuve, der 2011 für einen Oscar nominiert wurde. Oder ganz einfach, weil die Zwölftklässler Plakat und Programmheft ihrer Aufführung mit einer Triggerwarnung versehen haben: „Folter, Waffen, Gewalt und vulgäre Sprache.“
Das Stück „Verbrennungen“ beruht in Teilen auf der Lebensgeschichte von Souha Bechara, einer libanesischen Widerstandskämpferin, aufgewachsen im Bürgerkrieg, die 1988 für ihr Attentat auf den Chef der südlibanesischen Armee zehn Jahre im Folterlager Khiam verbrachte, sechs davon in Isolationshaft.
In dem Theaterstück machen sich die Zwillinge Jeanne und Simon nach dem Tod ihrer Mutter, Nawal, auf die Suche nach ihrem Vater und ihrem Bruder. Nie hat die Mutter viel über sich erzählt. Gegen den Widerstand ihres Bruders beginnt Jeanne das Leben der Mutter in einem ihr fremden, vom Schrecken eines Bürgerkriegs gekennzeichneten Land im Nahen Osten zu rekonstruieren. Sie stößt dabei auf eine schmerzliche Wahrheit über ihre eigene Herkunft.
Mit den Proben haben die Schülerinnen und Schüler der zwölften Klasse nach den Osterferien begonnen. Um die verschiedenen Gewerke wie Kostüme, Bühnenbild oder Technik kümmerten sie sich selbst. Regie führten die beiden Lehrerinnen Ina Beimbauer und Ina Halmagyi.
Hochemotional, gesellschaftskritisch und nichts für Zartbesaitete – mit der Wahl des Stücks wollte die Klasse einen bewussten Kontrapunkt zu der Komödie „Das Haus der Temperamente“ setzen, das sie in der achten Klasse auf die Bühne gebracht hatte. Eine Herausforderung, auch auf persönlicher Ebene, wie Erik Tiedemann erzählt, der den Simon gab: „Ich wollte etwas spielen, was meinem persönlichen Charakter gegensätzlich ist. Simon ist eher unsympathisch, ungestüm. Ich lernte, mich in seine Gedanken einzufühlen und wie es ist, auf diese Art aus sich rauszukommen.“
Andere zeigen sich beeindruckt von der Geschichte der Hauptfiguren und den wahren Ereignissen, die zugrunde liegen. „Nawal durchlebt extreme Situationen“, sagt Paula Lindner, die Nawal, die Mutter der Zwillinge spielt. „Trotz der Schicksalsschläge, die sie erleidet, behält sie immer eine aufrichtige Stärke, die ich als sehr bewundernswert empfinde.“
Die Umsetzung des Stücks ist den Schülerinnen und Schülern jedenfalls gelungen. Über zwei Stunden lang halten sie das Publikum in ihrem Bann. Dabei sind Szenen, die unter die Haut gehen, die von Gewalt, Flucht und Vertreibung erzählen, und auch vom Todschweigen der Ungerechtigkeit. Manch erfahrene Schauspieler hätte das wohl an die Grenzen gebracht. Die Bewunderung, die das Publikum den Zwölftklässlern am Ende der Vorstellung mit minutenlangen Standing Ovations zollt, ist daher überaus verdient.
Als die Gäste die Aula verlassen, ist manch einer in Gedanken versunken. Nicht ohne Grund. „Verbrennungen ist nach wie vor zeitaktuell“, erklärt Regisseurin Ina Beimbauer. „Ein Kommentar zu den Gründen von Flucht und Vertreibung und eine Mahnung, was geschieht, wenn eine Mehrheit sich einem Unrechtsregime beugt.“
An einer Stelle von Mouawads Stück heißt es: „Die Stille der Sterne in dir ist das Schweigen deiner Mutter. In dir.“
Und so kann nach diesem Abend jeder selbst ergründen, ob diese Stille auch in ihm schlummert und, falls ja, ob er sie einfach hinnehmen möchte …
Von Jan F. Wielpütz