Die Mutter der Bäume

Wangari Maathai (1940–2011) war eine mutige und erfolgreiche Frau, die mit „Afrika, mein Leben – Erinnerungen einer Unbeugsamen“ ihre Autobiographie vorgelegt hat (Dumont, 1. Aufl. 2006, 5. Aufl. 2019, Tb, 383 S., 9,99 €). Nach einer wunderschönen Kindheit am Fuße des Mount Kenia hatte sie das Glück, in die Schule gehen zu dürfen. Dort war sie auf jeder Jahrgangsstufe die beste Schülerin der Klasse, sodass sie zuletzt ein Stipendium für ein Studium in den USA bekam. Dort studierte sie 4 Jahre lang Tiermedizin und Biologie. Nach Hause zurückgekehrt arbeitete sie wissenschaftlich weiter und wurde zur ersten Professorin Kenias. Ihr eigentliches Interesse war aber die Sorge um die zunehmende Bodenerosion ihres Landes. Ursache ist das rücksichtslose Abholzen der Wälder und das vollständige Fehlen von Maßnahmen zur Wiederaufforstung. Sie begann mit einer Menge an Kübelpflanzen, die in ihrem Garten standen, zuletzt aber doch nicht gepflanzt wurden, weil die den Bäumen zugedachten Menschen fehlten. Nach und nach wurden die Pflanzprogramme Maathais aber immer erfolgreicher. Zuletzt entstand das „Green Belt Movement“, wo Frauen in der Nähe ihres Wohnortes eine Pflanzschule bewirtschafteten und nach der Erfüllung eines 10 Punkte Programms einen Lohn erhielten. Auf diese Weise entstanden etwa 600 Baumschulen und im Laufe der Jahre wurden bis heute etwa 45 Millionen Bäume gepflanzt. Der Boden wurde wieder lebendig und die Menschen hatten wieder eine Lebensgrundlage. Dreizehn weitere Länder in Afrika übernahmen das Programm. 1984 bekam Wangari Maathai den alternativen Nobelpreis und 2004 den Friedensnobelpreis, dazu natürlich viele weitere Preise und Auszeichnungen. Aufgrund ihrer Pionierrolle nannte man sie auf Kisuaheli „Mama Miti“, das heißt: „Mutter der Bäume“. International wurde sie zur Vorzeige-Frau Afrikas: Afrika kann sich selbst helfen. Sie pflegte viele Freundschaften weltweit. Diese haben ihr in kritischen Momenten dann auch entscheidend geholfen. 

Neben diesen Aktivitäten für das „Green Belt Movement“, das sie ab einem gewissen Zeitpunkt hauptberuflich und mit 80 Mitarbeitern betrieb, war Maathai auch eine Aktivistin, die gegen ihre eigene Regierung Opposition machte. Sie war viermal in ihrem Leben im Gefängnis und musste eine Zeitlang sogar untertauchen, weil sie auf Todeslisten stand. Sie organisierte den Widerstand gegen eine Verbauung des Uhuru Parkes, der in Nairobi so etwas wie der Central Park in New York ist. Zuletzt hat sie diesen Kampf gegen das geplante 60-stöckige Hotel mit Golfplatz gewonnen, unterstützt von der landeseigenen Presse und den internationalen Geberländern, die auf die kenianische Regierung Druck ausübten. Ebenfalls erfolgreich war ihr Kampf gegen die Abholzung des Karura Forstes, der als grüne Lunge in der Nähe Nairobis gelten kann. Weiterhin beteiligte sie sich am „Aufstand der Mütter“, die dagegen demonstrierten, dass ihre Söhne ohne Gerichtsurteil gefangen genommen worden waren.   Diese Aktionen waren alle erfolgreich, aber gefährlich. 

Man lernt durch eine solche Biographie eines bedeutenden Menschen mehr als durch viele Beschreibungen. Als die vier Jahre Studium vorüber waren, bekam Maathai eine Stelle am Zoologischen Institut der neu gegründeten Universität in Nairobi. Pünktlich wie verabredet erschien sie am 10.1. 1966. Der Chef, der ihr diese Stelle schriftlich zugesagt hatte, berichtete ihr ohne mit der Wimper zu zucken, dass sie die Stelle nicht antreten könne. Die Stelle sei schon anderweitig vergeben. Später wurde ihr klar: erstens hatte sie für diesen Chef die falsche Ethnie (Kikuyu), zweitens war sie eine Frau. Das waren die eigentlichen Gründe, um so behandelt werden zu können. Die Stammesfeindschaften in Afrika (Tribalismus) bezeichnet Maathai als eine Art von „Mikronationalismus“. Vor Wahlen wurden solche Feindschaften durch die Politiker geradezu gezüchtet, an jedem Missstand war der andere Stamm schuld. Das führte oft zu blutigen Auseinandersetzungen. Die Unterdrückung der Frau ist in Afrika inzwischen besser geworden, so wie überall auf der Welt. Aber beseitigt ist sie noch nicht.

Bei ihrer eigenen Initiative des „Green Belt Movement“ brauchte man dann ab einer bestimmten Größe Kontrolleure. Die arbeitenden Frauen wünschten sich, dass diese Kontrolle von den Männern oder den Söhnen durchgeführt wird. Maathai schrieb: „Zu meiner großen Enttäuschung mussten wir im Laufe der Jahre allerdings feststellen, dass viele der Kontrolleure unehrlich waren. Sie schmückten die Zahlen der herangezogenen Setzlinge und der tatsächlich überlebenden Bäume aus. Nur war ihnen nicht bewusst, dass wir dank unseres Zehn-Schritte-Programms genau nachprüfen konnten, wo Ungereimtheiten auftraten. Diese Unehrlichkeit traf mich sehr, führte mir aber auch die Herausforderung vor die Augen, der sich die Gesellschaft insgesamt stellen musste. Wenn schon bei einer Graswurzelbewegung Betrug an der Tagesordnung war, wie ging es dann erst in den höheren Etagen der Regierung und in der Gesellschaft insgesamt zu?“ (S. 214/215). 

Damit bringt Maathai zwei Dinge auf den Punkt, die in der übrigen Welt ganz genau so wie in Afrika herrschend sind: der Nationalismus oder Gruppenegoismus auf der einen, und die Unehrlichkeit auf der anderen Seite. Wie kommen wir aus diesen menschlichen Schwächen heraus? 

Es klingt natürlich naiv, ich weiß schon, Sie werden vielleicht über mich lächeln, aber es ist trotzdem so. Wer sich mit der Anthroposophie beschäftigt, lernt im Laufe der Jahre kennen, dass sich die Anthroposophie als eine „Mahnerin zur Wahrheit“ zeigt. Durch Anthroposophie können wir uns das erwerben, was so fortgeschrittene Geister wie Wangari Maathai von sich aus hatten. Weiterhin erweist sich die Anthroposophie als etwas, was das Leben gesünder und erfrischender macht. Und drittens wirkt die Anthroposophie im Laufe der Jahre als „Überwinderin der Selbstsucht“ (GA 187, 22.12.1918). In diesen drei Eigenschaften – Wahrhaftigkeit, Gesundheit, Überwindung der Selbstsucht – erlebt der heutige Mensch den Christusimpuls der Anthroposophie (ebenda). 

Friedwart Husemann

Erschienen in: Rundbrief zur Anthroposophie 22.05.2021